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Das Mädchen vom Amazonas - Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana Indianern

Rust, Catherina, Knaus Verlag München 2011. 19.99

Rust beschreibt ihre Kindheit bei den Aparai-Wajana, einem indigenen
Volk am Rio Paru, nördlich vom Belém fast schon an der Grenze nach Surinam
und Französisch-Guayana.

Und hier beginnt bereits der Unterschied zu den
beiden erwähnten Büchern: ihre Eltern sind Ethnologen, keine Missionare. Ihr
Vater (Manfred Rauschert) forschte seit den 50iger Jahren in diesem Gebiet
und bekam später einen mehrjährigen Forschungsauftrag, bei dem ihm Frau
und Kind begleiteten.
Ka-ta-rinschi (so wird Rust dort genannt) wächst mit den Kindern des
Dorfes Mashipurimo auf, als eines von ihnen. Sie mag lieber Affeneintopf als
Cracker, sie liebt ihre Flip-Flops, aber eine lange Hose erhält sie erst, als sie
wieder auf dem Rückweg nach Deutschland ist. Das Dorfl eben ist Anfang der
70iger Jahre zwar nicht mehr so abgelegen, aber immer noch jenseits von
vielen zivilisatorischen Annehmlichkeiten. Aluminiumtöpfe sind ein kostbares
Gut, aber es geht auch ohne. Gewehre kann man benutzen, aber sie sind
laut und kostbar. Lieber geht man noch mit Speeren oder Pfeilen auf die
Jagd. Der Außenbordmotor eines Bootes ist fast immer außer Betrieb, also
wird weiterhin gerudert. Die Eltern sind präsent, aber genauso wichtig ist
die Ersatzfamilie, die Patenschwester, die Freundinnen, die Ersatzgroßeltern.
Von ihnen lernt Rust, was ein richtiges indigenes Kind alles wissen muss, ob
es nun der Umgang mit den Nahrungsmitteln ist oder der mit der Geistwelt.
Ihre Kindheit folgt den Geboten des Waldes; die Gemeinschaft des Stammes
sichert ihm auch das Überleben.
Eine große Rolle spielen die Naturgeister, die es zu beschwichtigen und
zu achten gilt. Ist das riesige Faultier auf dem Baum bei der Bürohütte des
Vaters wirklich ‚Jäääsu’ oder ist es ein Naturgeist? Eine bekehrte Frau aus
einem anderen Stamm versucht es mit Beten, doch das hilft nichts. Eine
andere holt sich das Gewehr von Rust’s Vater und versucht damit das Tier
zu verscheuchen. Da das Faultier den Kugelhagel unversehrt übersteht und
sich auch nicht vom Fleck rührt, ist dies das Zeichen, dass es sich um einen
mächtigen Urwaldgeist handelte.
Diese Glaubenswelt der Gemeinschaft ist bedroht durch die Missionare.
Sie glauben an einen einzigen Gott, aber der Weg ist für Protestanten wie
Katholiken unterschiedlich und so führt das bei den bekehrten Stämmen
längerfristig dazu, dass sie, die bisher nach alten Traditionen lebten, durch
das fremde Gedankengut gespalten werden.
Da Rust ganz aus der Sicht eines Kindes berichtet (sie schreibt ihre Kindheitsgeschichte
für ihre Tochter auf), wie sie die Gemeinschaft, den Stamm
erlebte, fehlt leider ganz die damalige politische Situation, es war die Zeit der
Diktatur, die Zeit, in der die Transamazonica entstand und auch die indigenen
Stämme systematisch dezimiert wurden. Es klingt an einigen Stellen an, wo
es um die evangelikalen Sekten und bekehrenden Kirchen geht, denn auch
dies gehörte zum planmäßigen Vorgehen gegen die indigenen Völker. Nach
fast zwanzig Jahren kehrt Rust an den Rio Paru zurück und erlebt die Veränderungen:
Christianisierung, Einzug von modernen arbeitserleichternden
Gegenständen (Feuerzeug), aber auch die Geborgenheit ihrer Ersatzfamilie.
Ein Anhang über die aktuelle Situation der Amazonasregion und ein sehr gutes
Bildmaterial ergänzen ein Buch, was sich zu kaufen und zu lesen lohnt.

Anne Reyers