Skip to main content

Weiße Plantagen

Erik Orsenna, Weiße Plantagen. 2007. C.H. Beck, München

Bei Aldi gibt es T-Shirts für € 2.99, bei Lidl kosten Hosen € 9.99 und bei Plus erhält man fünf Paar Socken für € 3.99. Stehen die Angebote in der Zeitung, heißt es schnell sein,  denn diese supergünstigen Schnäppchen sind bald ausverkauft.

Aldi ist der achtgrößte Textileinzelhändler der Republik. Die beiden Familien der Brüder Albrecht gehören zu den reichsten Familien in Deutschland. Die Produktion der Aldi-Kleidung findet vor allem in China und auch in Indonesien statt. Die Bedingungen in den Fabriken sind erbärmlich und grenzen an moderne Sklaverei: 7-Tage-Woche, zwei freie Tage im Monat, der gesetzliche Mindestlohn liegt je nach Region für eine 40-Stunden-Woche zwischen 480 und 690 Yuan (das sind 46-66 €) pro Monat; was aber nicht heißt, dass dieser gezahlt wird. Untergebracht sind die zumeist weiblichen Wanderarbeiter in streng bewachten firmeneigenen Schlafsälen: So kann jede unangepasste Regung kontrolliert werden. Nach chinesischem Recht ist das nicht, das wird einfach ignoriert. Die Socken, die bei Aldi/Lidl/plus und anderen Textilhändlern super günstig auf den Grabbeltischen liegen, sind nur ein Beispiel für Markmacht und weltweite Produktion.
Baumwolle wird nicht nur in China angebaut und verarbeit, auch Westafrika, die USA und Brasilien setzen auf das weiße Gold. Und Usbekistan und Turkmenistan rücken in der Statistik der Anbaustaaten immer weiter nach oben.
Der Weg der Baumwolle ist das Thema von Erik Orsenna. Diese Reise führt ihn durch fünf Kontinente und sieben Länder. Er spricht mit Fabrikarbeitern in China, Baumwollpflückern in Mali, Farmern in Brasilien, Lobbyisten in den USA, mit Politikern und Forschern.
US-amerikanische Subventionen (für 25.000 Farmer 3 Milliarden Dollar!) ermöglichen eine billige US-Baumwolle. Obwohl die aus Mali eine bessere Qualität hat, kann die Baumwolle aus Afrika auf dem weltweiten Markt nicht bestehen. Ein ungerechter Wettbewerb, der zur Folge hat, dass die afrikanischen Bauern in die Städte flüchten und von dort weiter nach Europa, um der Armut zu entkommen. Die ungleichen Regeln des internationalen Handels fördern das Drama der illegalen Einwanderung.
Orsennas Fazit ist, dass die enormen weltweiten Spannungen und gigantischen Ungleichheiten zu einer immer unsicheren Gesellschaft führen werden. Und diese ökonomische Ungleichheit provoziert einen religiösen Fanatismus.  
Orsenna bietet keine einfachen Antworten. Viele Detailbeobachtungen, Informationen und Gespräche bilden ein differenziertes Gemälde (eine wunderbare Übersetzung!), komplexe Zusammenhänge sind anschaulich und unterhaltsam erläutert, sodass ein Lesegenuss mit humorvollen Beschreibungen entstanden ist.

Anne Reyers