Indianerpolitik im neuen Gewand
Die grundrenovierte Indianerstiftung des Staates bereitet den Ureinwohnern Kopfschmerzen.
Das wahrscheinlich wichtigste Ereignis des letzten halben Jahres ist die geplante Umstrukturierung der staatlichen Indianerstiftung (FUNAI), mit der die Regierung am 28. Dezember überraschend herausplatzte. Vielleicht sollte es ein verspätetes Weihnachtsgeschenk sein.Jedenfalls muss sich aber noch herausstellen, ob die Beschenkten, das heißt die Indianer, sich das wirklich gewünscht haben. Im Augenblick sieht es nicht so aus, denn ihre Reaktionen sind fast einhellig ablehnend.
Die Regierung Lula sieht in dem Dekret 7.056, das Präsident Luiz Inácio Lula da Silva noch kurz vor Jahresschluss unterzeichnete, u.a. vor, dass der bisher mächtige Mann an der Spitze der Indianerstiftung, der FUNAI-Präsident, von einem mehrköpfigen Direktorium abgelöst wird. Dessen Mitglieder schlägt der Justizminister vor, dem alle den Staat betreffenden indianischen Angelegenheiten unterstellt sind, anschließend werden sie vom Staatspräsidenten ernannt. Aber nicht nur an der Spitze der FUNAI verändert sich vieles: Auch die regionale Verwaltung erhält eine neue Struktur. Es sollen „Regionalkomitees“ gebildet werden, deren Kompetenzen aber das Dekret nicht näher definiert. Auf jeden Fall verfügen sie über wenig Eigeninitiative, denn sie dürfen nur dann mit Nichtregierungsorganisationen, Fachleuten und Regierungsstellen Kontakt aufnehmen, wenn der Vorsitzende des jeweiligen regionalen Komitees dies offiziell zulässt. An die Seite dieser „Regionalkomitees“ sollen „lokale technische Koordinationen“ treten, über deren genaue Tätigkeit sich ebenfalls nichts Genaues sagen lässt, da es diese Institution bisher nicht gab. Ein ganz tiefer und schwerwiegender Einschnitt ist die Abschaffung der Indianerposten. Es handelt sich dabei um eine Einrichtung, die zum Kern und zur Ideologie der FUNAI seit ihrer Gründung im Jahre 1967 gehörte. Schon bei ihrer Vorgängerorganisation, dem SPI, war um diese Indianerposten herum die gesamte Organisation entstanden. Durch die ständige Anwesenheit eines FUNAI-Beamten im Indianerdorf sollte ein enger und ständiger Kontakt zwischen der Behörde und den Ureinwohnern gewährleistet sein. Der direkt vor Ort lebende FUNAI-Beamte bekam aus nächster Nähe mit, welchen Bedrohungen und alltäglichen Problemen die Menschen ausgeliefert waren. Ein im Sinne der Ureinwohner tätiger Staatsfunktionär konnte also sehr rasch Maßnahmen für „seine“ Leute ergreifen und ihnen hilfreich bei Verhandlungen als Vertreter des Staates zur Seite stehen. Ein schlechter Sachverwalter dagegen manipulierte die Dorfgemeinschaft in seinem Sinne, steckte mit den örtlichen Autoritäten, die oft indianerfeindlich eingestellt sind, unter einer Decke oder veruntreute Staatsgelder. Beide Sorten von Mitarbeitern kommen bei der FUNAI vor. Alles in allem sind viele indigene Völker entweder mit diesen Indianerposten zufrieden oder akzeptieren sie als notwendiges Übel, kommt der brasilianische Staat in dieser Einrichtung doch in etwa seiner Fürsorgepflicht nach. In den vergangenen Jahrzehnten nahm die Anerkennung der Indianerposten unter den Ureinwohnern sogar noch zu, denn die Zahl der dort tätigen Indigenen wuchs spürbar an. Jetzt sollen sie mit einem Federstrich verschwinden. Wahrscheinlich sollen die „lokalen technischen Koordinationen“ diese Aufgabe übernehmen. Wie das konkret aussehen soll, weiß bisher niemand, vielleicht auch die Regierung nicht.
Und noch etwas: Die Umstrukturierung der FUNAI betrifft auch die Zentrale in Brasília. Sie soll um eine Abteilung erweitert werden, die sich um die nachhaltige Entwicklung kümmert, wozu neben der Wirtschaft auch die Gesundheits- und Bildungspolitik gehört.{mospagebreak}
In seinen ersten Stellungnahmen reagierte der katholische Indianermissionsrat (CIMI) ablehnend auf die beschriebenen Pläne der Bundesregierung. Er befürchtet, dass die geplante Umstrukturierung der FUNAI dazu dient, die Indianerstiftung zum willigen Erfüllungsgehilfen bei der ungebremsten ökonomischen Nutzung der Reservate durch Dritte zu machen. Die neue Schwerpunktsetzung der FUNAI, die sich in der verstärkten wirtschaftlichen Entwicklung der Reservate widerspiegelt, sieht der CIMI als Beleg für seine These der ökonomischen Öffnung der Indianergebiete. In diesem Zusammenhang beobachtet der CIMI aber auch die negativen Auswirkungen eines Urteilsspruchs des Obersten Gerichtshofes. Die Richter erkannten zwar im Jahre 2009 nach langem Tauziehen das heiß umstrittene Reservat Raposa Serra do Sol im nördlichen Bundesland Roraima als indianisches Territorium an, erhöhten aber gleichzeitig massiv die Messlatte für die künftige Demarkierung von indianischem Land. Deshalb rät der CIMI dazu, in Zukunft insbesondere die Arbeit der FUNAI-Techniker genau zu beobachten, die für die Vorbereitung der Vermessungsarbeiten zuständig sind. Für den brasilianischen Staat sind diese Bedenken ganz offensichtlich bedeutungslos, denn nach seinen Angaben sind bereits 90% der indianischen Landansprüche demarkiert. Der CIMI hält dem entgegen, es seien nur 366 der 988 Gebiete, also nur 37%. der von den 235 offiziell anerkannten indianischen Völkern Brasiliens beanspruchten Gebiete.
Offener Widerstand
Die Indianer reagierten mit Verblüffung, aber auch mit offenem Widerstand auf die Umstrukturierung der FUNAI. So besetzten am 11. Januar dieses Jahres 100 Führer oder Kaziken der Kayapó und Xavante die Aula der FUNI-Hauptverwaltung in Brasília und protestierten mit Rasseln, Pfeil und Bogen gegen die Schließung der Indianerposten. 400 weitere Kaziken aus dem Nordosten des Landes stießen noch am gleichen Tag zu ihnen und verliehen dem gemeinsamen Protest mit Gesängen, Tänzen und Presseerklärungen einen hörbaren Ausdruck. Was die Ureinwohner enorm erregt, ist die Tatsache, dass die Regierung Lula sie erneut vor vollendete Tatsachen stellt. Gerade Lula, der sich so gerne als Mann des einfachen Volkes sieht, vertrat einst zusammen mit der Arbeiterpartei (PT) das Ziel, mehr Demokratie zu wagen und die Menschen an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Damit verstößt die Regierung aber nicht nur gegen ihr ursprüngliches Credo, sondern auch gegen internationale Normen. Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsbehörde, die auch von Brasilien unterschrieben wurde, gewährt den Indigenen das Recht, bei sie betreffenden Entscheidungen angehört und informiert zu werden. Das ist nicht geschehen. Weder wurden die einzelnen Völker von der Umstrukturierung der FUNAI in Kenntnis gesetzt, noch die nach ewig langen Diskussionen aus der Taufe gehobenen CNPI, die Nationale Kommission für indigene Politik, in der Regierungsmitglieder, Indianer und vom Staat unabhängige Organisationen wie der CIMI gemeinsam die Richtlinien einer modernen Indianerpolitik festlegen sollen.
Schwarze Wolken über dem Rio Xingu{mospagebreak}
Wie wenig der Staat auch unter der Ägide Lulas auf die von massiven Strukturverändungen heimgesuchten Menschen eingeht, müssen auch die Indianer am Rio Xingu erleben, die seit vielen Jahren gegen ein gigantisches Wasserkraftwerk an ihrem Fluss kämpfen. Schon in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts schien das damals noch Kararaô genannte Projekt beschlossene Sache, aber der geballte Widerstand innerhalb und außerhalb Brasiliens verhinderte - wenn auch anscheinend nur vorübergehend - dieses „pharaonische Projekt“ an einem der größten Nebenflüsse des Amazonas. Ein Bild von diesem Protest ging in jenen Tagen um die ganze Welt: Vor laufenden Kameras attackierte 1989 die Indianerin Tuira Kayapó während einer öffentlichen Versammlung den Konzern-Manager Antonio Muniz mit einer Machete und verletzte ihn leicht. Kararaô wurde kurze Zeit nach diesem Eklat zu Grabe getragen, entstieg dann aber einige Jahre später in abgespeckter Form unter der Bezeichnung „Belo Monte“ (Schöner Berg) wieder den Schubladen der Industriekonzerne und der Staatsbürokratie. Als Lula noch kein Staatspräsident war, wandte er sich entschieden gegen derartige Mammutprojekte, aber kaum an der Macht, wechselte er seine Ansichten wie ein Chamäleon die Farbe. Heute ist Belo Monte ein von ihm gewolltes Staudammprojekt, das in Amazonien möglichst viel billige und angeblich saubere Energie vor allem für die prosperierende Aluminiumindustrie erzeugen soll. Es ist geplant, dass etwa 500 km² Land, davon der größte Teil Regenwald, durch die Aufstauung des Rio Xingu im Wasser verschwinden. 66 Munizipien und 11 Indianerreservate sind davon betroffen. Etwa 20.000 Menschen müssen umgesiedelt werden. Das Wasserkraftwerk am Rio Xingu, das bei der Stadt Altamira im Bundesland Pará in unmittelbarer Nähe der Mündung des Flusses in den Amazonas gebaut werden soll, wird nach Itaipu das zweitgrößte seiner Art in Brasilien sein und geschätzte 11.233 Megawatt produzieren. Die Kosten belaufen sich auf geschätzte 11 Milliarden Dollar. Die Leidtragenden dieser Überflutung, zu der noch zusätzlich Umweltverschmutzung, Prostitution und die unkontrollierte Zuwanderung von Arbeitskräften kommen, sind wieder einmal die Amazonier, im konkreten Fall vor allem die Kayapó und die anderen im Großraum rund um den zukünftigen Staudamm lebenden Flussbewohner (Ribeirinhos), Kleinbauern und Fischer. Deren Widerstand ist bisher ungebrochen, denn sie wissen, dass es um ihre nackte Existenz geht. Bestärkt wurden sie durch den Zuspruch von rund 3.000 Vertretern der indigenen Bewegung Brasiliens auf dem Sozialforum in Belém zu Beginn des vergangenen Jahres. Gemeinsam beschloss diese Versammlung, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Bau von Belo Monte zu verhindern. Das ganze Jahr hindurch blieb es deshalb am Rio Xingu unruhig. Am 5. November übersandten Indianer aus der Xingu-Region einen Brief an den Staatspräsidenten, die Ministerien für Bergbau und Energie sowie Umwelt und Justiz, die Bundesstaatsanwaltschaft und die staatliche Umweltbehörde (IBAMA), in dem sie gegen Belo Monte protestierten. Dieser Brief war zuvor auf der „Indigenen Versammlung der 14 Völker vom Xingu“, die vom 28.Oktober bis zum 2.November 2009 in Jarina im nördlichen Mato Grosso tagte, verabschiedet worden. Am 1. November demonstrierten die Xingu-Indianer während dieses Treffens öffentlich gegen das technische Gutachten der FUNAI, das Belo Monte für machbar einstuft, obwohl im Vorfeld einige FUNAI-Beamte und Experten aus dem ganzen Land auf die verheerenden Folgen der Aufstauung des Rio Xingu hingewiesen hatten. Die Demonstration der Ureinwohner richtete sich auch gegen den Minister für Bergbau und Energie, Edson Lobão, der die Kraftwerksgegner als „diabolische Kräfte“ verunglimpfte. Anfang Dezember 2009 nahmen dann über 100 Indianer und Siedler aus der Xingu-Region an Versammlungen und Anhörungen über Belo Monte in Brasília teil. Sie forderten weitere öffentliche Anhörungen für die Betroffenen in der Region. Zwar hatten vier dieser Anhörungen im Oktober 2009 im Xingu-Gebiet stattgefunden, um die Bevölkerung über die Folgen des Kraftwerkes zu informieren und Fragen von Experten zu beantworten, aber dabei ging nicht alles mit rechten Dingen zu: Das für die Baumaßnahmen verantwortliche Unternehmen Eletrobras schickte keinen Vertreter und auch die FUNAI glänzte durch Abwesenheit. Zudem erhielt nicht jeder Bewohner der Region freien Zutritt zu den Anhörungen. Selbst die Arbeit der Staatsanwaltschaft des Bundeslandes Pará wurde behindert, sodass ihr Vertreter, Rodrigo Timóteo Costa e Silva zu dem ernüchternden Ergebnis kam: „Die Regierung verweigert weitere Audienzien, verweigert die Anhörung der indigenen Völker, wie es eigentlich in der Verfassung festgelegt ist, und enttäuscht einmal mehr die Erwartungen der Bevölkerung an der Transamazônica, die große Hoffnung in diese Diskussionen setzte. Aufgrund der fehlenden öffentlichen Debatten ist der Protest der Gesellschaft im Fall von Belo Monte gerechtfertigt.“{mospagebreak}
Gerechtfertigt ist er sicherlich auch deshalb, weil die ökologischen und sozialen Folgen dieses Projekts unabsehbar sind. Niemand weiß, ob der Rio Xingu nach der Aufstauung noch schiffbar und die Versorgung der ansässigen Bevölkerung mit Trinkwasser gewährleistet sein wird. Unklar ist sowieso, wie groß die überflutete Fläche sein wird. Völlig unabsehbar sind auch die Veränderungen für den Fischfang, die Jagd und die klimatischen Veränderungen. In einem Brief, den die Indianervölker des Rio Xingu am 7. Dezember 2009 an Präsident Lula und andere Regierungsmitglieder schickten, äußern die Ureinwohner deshalb ihre geballte Unmut und demonstrieren ihre Bereitschaft, zum Äußersten zu gehen: „Der Rio Xingu kann sich in einen Fluss voller Blut verwandeln. Brasilien und die Welt müssen wissen, dass genau das passieren kann, sollten die brasilianischen Herrscher unsere Rechte nicht respektieren.“ Am 1. Februar 2010 erfolgte trotz all dieser Einwände durch die brasilianische Umweltschutzbehörde IBAMA (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente) die vorläufige Lizenz für den Bau des Belo-Monte-Staudamms.
„Birdwatchers“ sind überall{mospagebreak}
Aber nicht nur am Rio Xingu, auch in vielen anderen Teilen des riesigen Landes gibt es große Konflikte, die manchmal durch die Regierungspolitik ausgelöst werden, oft aber auch durch den fehlenden staatlichen Schutz für die Ureinwohner ausbrechen. Ein besonderer Brennpunkt ist nach wie vor der Südwesten und Süden, die Heimat der ca. 46.000 in Brasilien lebenden Guarani, die in viele verschiedene Untergruppen zerfallen und weit verstreut über ein großes Territorium leben. Dort wiederholt sich häufig das, was in dem sehenswerten Film „Birdwatchers“ eindrucksvoll in Szene gesetzt wird. Seit der portugiesischen Landnahme verloren die Guarani fast ihr gesamtes Land. Die meisten von ihnen vegetieren heute in winzigen Reservaten dahin, während sich um sie herum riesige Sojafelder, Zuckerrohrplantagen und Rinderweiden, die wohlhabenden Großgrundbesitzern gehören, erstrecken. In den letzten Jahren kam es verstärkt zu Gegenmaßnahmen der Indianer, die mit mehr oder weniger spontanen Landbesetzungen auf die drohende kulturelle und physische Auslöschung durch die Fazendeiros reagierten. In einigen Fällen hatten sie Erfolg, in vielen anderen dagegen nicht. Gewalt, hohe Kindersterblichkeit und fehlende Arbeit sind deshalb weiterhin die Regel in den Guarani-Dörfern. Sie sind nur einige der wenigen Folgen einer unerträglichen Lage, der die Indigenen vor allem in den Bundesländern Rio Grande do Sul und Mato Grosso do Sul schutzlos ausgeliefert sind. Verzweifelt und ohne jede Hoffnung, aus diesem Teufelskreis der Armut und Unterdrückung herauszukommen, nahmen sich seit 1986 etwa 520 zumeist junge Guarani das Leben. Das jüngste Opfer war gerade einmal neun Jahre alt. Andere Indianer reagieren mit Depressionen auf ihre schwierige Lage oder fallen dem Suff zum Opfer. Wie schlimm es in vielen Dörfern der Guarani zugeht, belegt auch die Tatsache, dass seit 2005 mindestens 53 Kinder an den Folgen von Unterernährung gestorben sind. Bedenkt man, dass gerade der Südwesten über viele fruchtbare Böden verfügt, dann ist dieser beklagenswerte Umstand umso skandalöser. In kaum einer anderen Region Brasiliens ist der Einfluss der Großgrundbesitzer und der Agrokonzerne erdrückender als im Südwesten, denn diese Gegend wird aufgrund der spärlich vorhandenen Industrie und der günstigen Anbaumöglichkeiten für Exportprodukte überwiegend von der Landwirtschaft geprägt. Wie groß der Einfluss der Fazendeiros ist, lässt sich auch daran erkennen, dass sie selbst oder Familienmitglieder, Verwandte und Freunde viele wichtige Positionen in der Politik, Verwaltung und Justiz besetzen. So fällt es ihnen leicht, ihren Einfluss mit scheinbar legalen Mitteln ständig zu erweitern. Nicht selten greifen sie aber auch zu ungesetzlichen Methoden, ohne dass sie damit rechnen müssten, jemals dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Mehrere Zwischenfälle, die sich in den letzten Monaten ereigneten, belegen, wie sicher sich die Großgrundbesitzer fühlen. So vertrieben am 11. Oktober 2009 einige Fazendeiros im Bundesland Mato Grosso do Sul 130 Guarani-Kaiowá aus dem Dorf Laranjeira Nhanderu, darunter 60 Kinder, töteten die Tiere der Indianer und zündeten ihre Häuser an. Die Flüchtlinge ließen sich daraufhin am Straßenrand nieder, wo sie zunächst ohne Zugang zu Wasser und Lebensmittel blieben. Nur vier Tage später fand am 15. Oktober ein bewaffneter Angriff auf das Dorf Apika-y statt, bei dem Pistoleiros mehrere Guarani verletzten. Auch in diesem Fall steckten die Angreifer die Häuser in Brand. Weder in dieser noch in anderen Regionen der Guarani kommen die von der FUNAI in die Wege geleiteten Demarkationsarbeiten voran. Die Guarani greifen deshalb immer wieder zur Selbsthilfe – nicht selten mit großer Gefahr für Leib und Leben. Am 25. Oktober 2009 besetzten 25 Guarani das Gebiet Ypo‘i nahe der Stadt Paranhos, bereits einen Tag später wurden sie von privaten Sicherheitsleuten vertrieben. Während dieser Aktion verschwanden zwei Guarani-Lehrer zunächst spurlos. Am 7. November fand die Polizei die Leiche des einen, der andere blieb weiterhin verschwunden.
Aufgrund dieser und vieler anderer Nachrichten fällt die Einschätzung der Indianerpolitik der letzten acht Jahre bei vielen Kennern der Szene überwiegend negativ aus. Einer von ihnen ist Bischof und CIMI-Präsident Erwin Kräutler. Bei der Eröffnung der CIMI-Vollversammlung im Oktober 2009 beklagte er vehement die Untätigkeit des Staates. Es müssten unbedingt neue Reservate demarkiert werden, aber von 2007-2009 sei kein einziges Indianergebiet demarkiert worden. Dabei hätten unzählige Anträge vorgelegen. Wegen der Nachlässigkeit der FUNAI und des fortschreitenden Ausbaus von Infrastruktur und Landwirtschaft stünde jetzt die Existenz von 18 bislang isoliert lebenden Urwaldvölkern auf dem Spiel. Bischof Kräutler erhielt wegen seines Einsatzes für landlose Bauern und Indianer schön öfters Todesdrohungen. Seit drei Jahren steht er ständig unter Polizeischutz. Damit teilt er das Schicksal von vielen Menschen, die sich in Brasilien für die in der Verfassung festgelegten Rechte der Indianer stark machen. Ob die grundrenovierte FUNAI den Ureinwohnern in Zukunft mehr Hilfe leisten wird als die jetzt zu Grabe getragene „alte“ Indianerstiftung, steht noch in den Sternen. Groß sind die Hoffnungen nicht.