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Indianerpolitik: Viel Schatten, wenig Licht

Die Indianerpolitik der Regierung Lula bleibt auch im zweiten Jahr weit hinter den Hoffnungen zurück. Die Lage der Indianer hat sich auch in der ersten Hälfte des zweiten Jahres der Regierung Lula nicht verändert. Von den vielen Versprechungen, die in all den Jahren der PT-Opposition gemacht wurden, erfüllten sich nur enttäuschend wenige.

Am schwersten wiegt aber die Tatsache, dass die Mehrheit der Regierungsmannschaft in Brasília ganz offensichtlich gar kein Interesse verspürt, die Situation der Ureinwohner zu verbessern. Zum einen liegt das daran, dass die PT natürlich nicht allein regiert. Sie ist eingebunden in ein Bündnis aus verschiedenen Parteien, die aus unterschiedlichen politischen Lagern mit differierenden Einstellungen zur Indianerfrage kommen. Zum anderen aber – und das ist ein neues und höchst beunruhigendes Phänomen – werden seit einiger Zeit auch in der PT die Stimmen immer lauter, die sich gegen weitere Reservate und Landansprüche der Indigenen aussprechen. Mittlerweile ist es selbst in der Partei der Arbeiter (PT) nicht mehr verpönt, offen die Forderung aufzustellen, große Reservate müssten verkleinert werden, da in ihnen nur wenige Menschen lebten. Argumentativ unterfüttert werden diese Vorschläge gerne mit dem Hinweis auf die Gleichberechtigung aller Brasilianer. Wie viel Land hat etwa ein Favelabewohner?, fragt man sich gerne in Brasilien an dieser Stelle. Die Errichtung von Reservaten erscheint, betrachtet man sie aus dieser Perspektive, als übertriebener Luxus und himmelschreiendes Unrecht gegenüber dem übrigen Landproletariat und den städtischen Armen.

Es verwundert deshalb nicht, dass durch die zunehmende Verwässerung der ursprünglichen Ideen und Grundsätze ein wichtiger und zuverlässiger Bundesgenosse im Kampf gegen die vielfältigen Feinde der indianischen Völker wegzubrechen droht. Noch ist es nicht so weit, da in der PT die Zahl der Amtsträger, die mit der indianischen Sache sympathisieren, überwiegt. Die meisten Parlamentarier, Bürgermeister und sonstigen Amtsträger beziehen oft vor Ort in Landfragen und in anderen Konflikten Partei zugunsten der Ureinwohner. Auf nationaler Ebene schlägt sich dieses Engagement allerdings kaum nieder, denn konventionelle Ideen der Nutzung des Landes und seiner Ressourcen haben weiterhin Hochkonjunktur, auch bei Lula und seinen engsten Gefährten: Es sollen deshalb weiterhin Großprojekte gefördert werden, wie z.B. der Bau von Überlandstraßen und Staudämmen, die in vielen Fällen direkt oder indirekt indigene Interessen berühren, da man sie auf dem Land der indianischen Völker oder in ihrer unmittelbaren Nähe verwirklichen will. Erwähnt werden soll hier nur das besonders skandalöse Projekt Belo Monte, das in Amazonien große Gebiete am Rio Xingu unter Wasser setzen würde, u.a. auch das Land der Kayapó. Schon Ende der 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beabsichtigte die brasilianische Regierung, damals unter Präsident Sarney, den Rio Xingu aufzustauen. Aber damals brachten überwältigende nationale und weltweite Proteste dieses pharaonische Projekt zum Scheitern. Ironie am Rande: Das Vorhaben trug zunächst den indianischen Namen „Kararaô“. Das ist der Kriegsruf der Kayapó. Später wurde das Projekt abgespeckt und erhielt den portugiesischen Namen „Belo Monte“ (Schöner Berg). Es ist schwer nachvollziehbar, warum die PT-Führung, die früher ebenfalls zu den entschiedenen Gegnern von Kararaô und auch von Belo Monte gehörte, jetzt genau diese Baumaßnahme unterstützt.
Leider ist das nicht der einzige Bruch mit der Vergangenheit. Lulas offene Förderung des Sojaanbaus in Amazonien gibt ebenfalls Anlass zu großer Sorge. Seine marktorientierte Politik treibt die rasche Vernichtung der Wälder voran. In unglaublich schnellem Tempo verschwindet das größte geschlossene Waldgebiet der Welt. Die Vernichtungsquote erreicht zwar nicht mehr dieselben Werte wie während der schlimmsten Jahre der 80er Dekade des letzten Jahrhunderts. Trotzdem schreitet der Prozess der Entwaldung weiter voran. Während ringsherum die ursprüngliche Natur im Inferno der Flammen untergeht, bleiben die Reservate der Indianer bestenfalls wie kleine, grüne Inseln in der Steppe erhalten.
Genau um diese unheilvolle Entwicklung zu verhindern, hatte die PT, bevor sie an die Macht kam, mehr als einmal versprochen, die Rechte der Indigenen zu stärken. Die PT dachte damals laut über ein Indianerministerium, die beschleunigte Verabschiedung des Indianerstatuts und den unbürokratischeren Zugang der Indianer zu den staatlichen Behörden nach. Davon ist nichts bisher eingelöst worden, so dass unter den Indigenen Wut und Verbitterung zunehmen. Viele fühlen sich verraten. Das Mindeste, was die Regierung hätte tun müssen, wäre eine Aufstockung der Finanzmittel für die Indianerstiftung (FUNAI) gewesen. Aber selbst das unterblieb. Die FUNAI, die bei der Verwaltung und medizinischen Versorgung, bei der Demarkation des indianischen Landbesitzes, bei Konflikten jedweder Art, im Schulwesen und beim Vertrieb der in den Dörfern angebauten oder erzeugten Produkten eine große Rolle spielt, arbeitet deshalb auch heute noch so uneffektiv und langsam wie unter den Vorgängerregierungen. Gerade in der leidigen Landfrage findet kaum Bewegung statt.
Bernd Lobgesang, "Brasilien-Nachrichten" Nr. 131/2004