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Indigene und portugiesische Ortsnamen ohne Streit beieinander

Man muss nicht Fan von Sankt Pauli sein, um zu wissen, dass der Name dieses Hamburger Stadtteils seinen Ursprung in derselben Person hat wie auch der Name von Südamerikas größter Stadt, São Paulo, nämlich der des Apostels Paulus. Und es ist auch nicht zu schwierig zu erkennen, dass Rio de Janeiro kein indigener Name ist.

Aber warum heißen Rios Einwohner nicht Ribeirinhos, wenn sie doch am Ufer eines Flusses siedeln? Vielleicht, weil das gar kein Fluss ist, der Name nur auf einem Irrtum beruht? Sie heißen, wohl bekannt, Cariocas. Das ist nun eindeutig kein Wort aus einer indoeuropäischen Sprache, erst recht nicht aus dem neoromanischen Portugiesisch und Spanisch, deren Hauptvertreter vor Jahrhunderten als Eroberer im südlichen und mittleren Teil des amerikanischen Kontinents einfielen. Dort aber lebten schon Menschen, und diese hatten ihre eigenen Sprachen.

„Haus des Weißen“ heißt Carioca in der Tupi-Sprache lt. Aurélio, dem wohl wichtigsten Wörterbuch des brasilianischen Portugiesisch, und auch Wikipedia schließt sich dem an, „Hütte des weißen Mannes“, und führt zur Ethymologie an, dass der Ausdruck aus dem Tupinambá stamme, das zur Sprachgruppe des Tupi-Guarani gehöre.

Kein Carioca dürfte beleidigt sein, Carioca genannt zu werden. Es gibt Hunderte, ja Tausende von Wörtern aus indigenen Sprachen, die nach wie vor in Brasilien im Gebrauch sind. Ganz besonders präsent sind diese in Ortsbezeichnungen. Vielleicht ist der Wortbestandteil „itá“ am bekanntesten, der Fels oder Stein, aber eben auch Erz oder Metall bedeuten kann. Er kommt in sehr vielen Ortsnamen vor. Manchmal wandern indigene Namen mit dem Gegenstand bis in unseren Sprachraum: Maracujá ist solch ein Beispiel. Kaum jemand kauft wohl im Obstladen Passionsfrüchte, sondern eben, regional in der Aussprache gefärbt, Maracujá.
Gibt es nun Streit um indigene oder portugiesischsprachige Ortsnamen? Existiert ein Sprachenstreit um Ortsschilder wie in Kärnten oder Galicien? Oder ist es eher friedlich wie im sorbisch-deutschen Sprachgebiet? Das letztere ist wohl der Fall in Brasilien, wenn es auch dort gelegentlich Spinner gibt, die ihre Identität gefährdet sehen, weil sie mit Menschen zusammenleben, die eine andere Sprache sprechen.

Hier ein kleines Beispiel für die so oft in Brasilien vorkommende Nutzung eines portugiesischen Ortsnamens bei gleichzeitigem Erhalt des indigenen Ursprungsnamens. Südlich von Fortaleza im Bundesland Ceará liegt das Munizip Caridade und in diesem der Ort Campos Belos. Dieser wurde 1931 durch Verfügung der Landesregierung zu einer gemeindlichen Verwaltungseinheit, zu einem Distrikt des Munizips Canindé erklärt. 1943 erhielt dieser Bezirk den originalen indigenen Namen Inhuporanga. 1955 wurden Teile aus dem Gemeindegebiet von Canindé herausgelöst und 1958 das neue Munizip Caridade geschaffen. Der Bezirk Inhuporanga wurde 1963 sogar ein eigenes Munizip, das allerdings nur bis 1965 bestand. Dann wurde Inhuporanga wieder zu einem Bezirk der Gemeinde Caridade und blieb dies mit dem Namen bis heute.

Wenn man von Fortaleza aus über die BR 020 nach Süden fährt, kommt man nach gut 70 km in den Ort Campos Belos, wie das Ortsschild verkündet, wenn auch der letzte Buchstabe wegfiel. Tatsächlich entspricht die Umgebung dem Ortsnamen, der schöne Felder und Fluren verspricht. Vor allem im „Primavera no Sertão“, im Frühling im Sertão, dem großen Trockengebiet des Nordostens, vermeint man in einem Naturparadies zu sein. Und Campos Belos ist die Übersetzung des Begriffs Inhuporanga aus dem Tupi-Guaraní. So heißt der Bezirk noch heute und so steht der Name in großen Buchstaben auch weithin sichtbar am Ortsausgang Richtung Canindé an der Umspannstation des Elektrizitätsunternehmens. Campos Belos und Inhuporanga, friedlich nebeneinander. Es geht eben auch so. Wer das eine nicht aussprechen kann, mag halt das andere benutzen.

Quelle für die Jahreszahlen: Acervo de Documentação Territorial do Brasil. IBGE. http://biblioteca.ibge.gov.br/

Hubertus Rescher (Hupsy)

Nr. 143-2011