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„Neu-Atlantis“ Ökotourismus-City raubt Indianerland

„Cidade Nova Atlântida“, „Neu-Atlantis“ oder „Ecocity Brasil“: So heißt das größte Tourismusprojekt in der Geschichte Brasiliens, das rund 15 Milliarden US-Dollar kosten soll. Investor ist die spanisch-brasilianische Firmengruppe „Nova Atlântida“. Diese internationalen Tourismusentwickler wollen nicht kleckern.

Sie wollen nicht weniger als 20 Hotels, sechs Ferienapartmentblocks, einen Yachthäfen und wenigstens sieben Golfplätze an die Küste der Gemeinde Itapipoca, etwa 150 Kilometer nördlich von Fortaleza, der Hauptstadt des nordostbrasilianischen Bundeslandes Ceará, klotzen. Natürlich mit Solarenergie auf dem Dach!
Doch der von „Nova Atlântida“ beanspruchte 3.100 ha große, herrliche Küstenabschnitt mit „Traumstränden“, Dünen und Lagunen ist der althergebrachte Lebensraum des indigenen Volkes der Tremembé. Sie wollen mehrheitlich nicht ihr Land für das Tourismusprojekt hergeben – schon gar nicht für ein Butterbrot und ein Ei. Informationen der staatlichen Indianerschutzbehörde FUNAI zufolge leben in diesem Küstenabschnitt 120 Tremembé-Familien. Schon seit 2002 versuche die Firmengruppe die Indianer von ihrem Land zu vertreiben, sagt der Koordinator der FUNAI von Ceará, Oliveira Júnior. Aber „Nova Atlântida“ behauptet, sie habe das Land bereits 1978 rechtmäßig erworben. Damals habe es keine Ureinwohner in diesem Gebiet gegeben. Nicht „Nova Atlântida“ sei also der Aggressor, sondern die Tremembé-Familien, die sich erst später illegal auf dem Land niedergelassen hätten und eigentlich gar keine Indios seien, sondern lediglich „landlose“ Brasilianer. Francisco Veríssimo, einer der Tremembé-Ältesten, versichert allerdings: „Ich bin hier geboren und zähle heute 73 Jahre. Meine Eltern und Großeltern sind ebenfalls hier geboren. Wir leben hier von der Jagd, dem Anbau von Maniok und dem Fischen  - wie unsere Vorfahren.“{mospagebreak}

Tourismusentwicklung ohne Rücksicht auf die Menschen

Auch der Geograph Jeovah Meireles von der Universität Ceará bestätigt die traditionellen Landrechte der Tremembé von São José und Buriti. Mit seinem Urteil hat sich der Wissenschaftler allerdings in die sprichwörtliche „Schusslinie“ von „Nova Atlântida“gebracht. Doch in einem offenen Brief unterstützen über 240 Institutionen, Wissenschaftler und Journalisten die Position Meireles‘. Zu den Unterstützern des Wissenschaftlers zählt der ehemalige „Swissair“-Geschäftsführer René Schärer, der seit 1992 in Ceará lebt und dort sowohl das „Instituto Terramar“ zur Unterstützung der traditionellen Fischer und Küstenbewohner als auch das alternative Tourismusprojekt »Prainha do Canto Verde« gegründet hat. René Schärer: »Hier in Ceará ist es noch üblich, dass die vermögende Klasse sich als Besitzer des Staates aufführt und sich kaum um den Schutz der traditionellen Küstenbevölkerung kümmert. Sie befiehlt und zerstört, sei es um an der Garnelenzucht, der Fischerei, am Tourismus oder an anderen Geschäften, egal was, zu verdienen.«

Spuren bis in die Schweiz

Eigentlich wollte „Neu-Atlantis“ mit den Arbeiten an seiner Touristenstadt schon vor vier Jahren beginnen. Doch 2004 verfügte das brasilianische Justizministerium die Einstellung der Arbeiten aufgrund neuer Fakten, die bei der Abnahme der ersten Umweltverträglichkeitsprüfung noch nicht vorgelegen hätten. Bei diesen Fakten, so bestätigt das Sekretariat der Umweltbehörde in Ceará, handelt es sich um die Anwesenheit der Tremembé. Ein abschließendes Urteil zum Landkonflikt steht noch aus.
Inzwischen laufen polizeiliche Untersuchungen gegen Ripoll Mari, den Präsidenten von „Neu-Atlantis“. Es geht um den Verdacht auf Steuerhinterziehung und Geldwäscherei. Ripoll Mari ist dabei kein unbeschriebenes Blatt bei den internationalen Mafia-Jägern. Schon vor über 15 Jahren gingen Schweizer Mafia-Ermittler dem Verdacht nach, dass Ripoll Mari Gelder der italienischen Mafia in die Schweiz transferiert habe und mit einem gigantischen Tourismusprojekt waschen wolle. 1991 arbeitete Fausto Cattaneo in diesem Fall als verdeckter Ermittler. Wie der tourismuskritische „Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung“ (Akte) recherchierte, hat das Schweizer Justizministerium aber den Polizeiermittler zurückgepfiffen und die Untersuchung eingestellt. „Akte“ sagt dazu: „Cattaneo erklärte damals in einem Interview, der Verbindungsmann zu Ripoll Mari habe ihm vom Plan eines Neu-Atlantis in Mato Grosso erzählt, einem Tourismusprojekt, mit dem die Mafia Geld waschen wolle. Seiner Meinung nach diente der Entscheid des Justizministeriums der Deckung der mafiösen Kriminellen rund um Neu-Atlantis.“ Der verdeckte und schließlich ausgebremste Ermittler Cattaneo lebt heute in Bern und will nach Informationen des „Arbeitskreises Tourismus und Entwicklung“ den Fall „Nova Atlântida“ nicht kommentieren.{mospagebreak}
Aber nicht nur bei den Finanzen des dubiosen Mega-Projekts ist die Schweiz mit im Geschäft: Als Entwicklungsfirma für das Vorhaben zeichnet die SOAR BAU verantwortlich - mit Hauptsitz in Zürich und einem Büro in Berlin.
„Ecocity ist mit mehr als 5.000 Hektar der erste ökologisch geplante Touristenkomplex der Welt. Geplant sind ca. zwanzig 5-Sterne-Hotels, 2.000 Bungalows, eine Marina sowie sieben Golfplätze. Location: 61/2 Stunden Flugzeit von Europa, 6 Stunden von den USA, 8 Stunden von Asien.“ So preist die schweizerisch-deutsche Bau- und Architektenfirma das Skandalprojekt in Ceará an.
SOAR BAU-Verwaltungsratspräsident Walter Hediger bestätigte im vergangenen Jahr gegenüber dem „Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung“, dass SOAR BAU finanziell bei der Planung an Neu-Atlantis beteiligt ist und dort auch gerne eigene Projekte realisieren möchte. Doch wisse er weder von einem Landkonflikt mit den Tremembé noch von Untersuchungen rund um den Präsidenten von „Neu-Atlantis“ wegen Geldwäscherei. „Nova Atlântida ist eine ausgesprochen seriös und kompetent arbeitende Firma. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie in solche Sachen verwickelt ist“, erklärte Walter Hediger gegenüber dem „Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung“.
Vor Ort im brasilianischen Ceará geht inzwischen „Nova Atlântida“ im Gegenzug gerichtlich gegen Jehovah Meireles vor. Außerdem wurde er bereits dreimal von Ermittlern des brasilianischen Geheimdienstes ABIN aufgesucht und befragt. Die bislang gegen das Tourismusprojekt standhafte Tremembé-Gemeinde wiederum erhielt im vergangenen Jahr dreimal Besuch vom Justizminister sowie vom Vizegouverneur Cearás. Meireles: „Sie wollten zwischen den Tremembé und den Interessen von Nova Atlântida vermitteln.“ Antwort der Ureinwohner: „Unser Land ist keine Verhandlungssache!“

Autor: Karl Emmerich

weitere Informationen:
SOAR Bau AG
ecocity brasil