Candomble
Eine afro-brasilianische Religion: Candomblé.
Der Candomblé ist eine afro-brasilianische Religion, die hauptsächlich in Brasilien und hier vor allem im Bundesland Bahia praktiziert wird.
„Als Olorum Materie suchte, um den Menschen zu erschaffen, machten sich alle Ebora auf den Weg, um diese zu finden. Sie suchten Schlamm (Erupe), der aber weinte und vergoss Tränen, und kein Ebora wollte daraufhin auch nur das kleinste Stück von ihm nehmen. Da erschien Iku, „Ojegbe-Alaso-Ona“, hatte kein Erbarmen gegenüber dem Wehklagen und nahm etwas vom Schlamm.
Er brachte den Schlamm Olodumaré. Dieser erhob sich, bat Orixalá und Olugama den Schlamm zu modellieren, und Olodumaré hauchte ihm Leben ein. Aber Olodumaré befahl Iku, da er es war, der den Schlamm aufgehoben hatte, den Schlamm wieder seinem Ursprung zurückgeben. Deshalb bringt uns Iku – wann immer die Zeit gekommen ist – wieder zur Erde zurück.“ ( J.Elbin dos Santos, Nágô, 107)
Für jedes Empfangen gibt es ein Geben, und dieser Austausch sichert die Ausgeglichenheit und die Harmonie. Durch das Wechselspiel von Geben und Nehmen erhalten sich die Dynamik und die Fortdauer der Existenz.
Jede religiöse Handlung innerhalb des Candomblé hat als Hauptziel die Bewahrung des Gleichgewichts zwischen Orum und Aíye, wobei seine Anhänger davon überzeugt sind, dass sich der Sinn des Lebens um diese Balance dreht.
Daraus folgt, dass für Angehörige des Candomblé kein Ereignis als isoliertes Phänomen verstanden werden kann, d.h. jedes Geschehen ist automatisch eingebunden in ein Gesamtsystem mit seinen zwei Existenzebenen. Die Individuen werden als integrativer Bestandteil der großen Einheit zwischen Orum und Aíye betrachtet. Die Ordnung der Welt und das Existenzgleichgewicht basieren auf dem Wechselspiel von Geben und Nehmen.
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Im Candomblé geschieht dieses Zurückgeben mittels einer symbolischen Form durch Gaben, die ein Hauptmerkmal der afro-brasilianischen Religion darstellen. Hierdurch wird die Dynamik des Gebens und Nehmens erhalten; ebenso soll das Gleichgewicht gewährleistet sein. Hintergrund ist der Gedanke, dass das Gleichgewicht zwischen den beiden Sphären – Orum und Aíye – nie statisch ist.
Die religiösen Aktivitäten des Candomblé sind, ausgehend von den beiden voneinander entfernten Sphären, zu verstehen: Es geht um die perfekte Erhaltung der Dynamik des Systems und um die Wiederherstellung des beschädigten Gleichgewichts. Der Energieaustausch zwischen Orum und Aíye, zwischen den Orixás und den Personen hat die Befreiung des Axés (der Kraft) zum Ziel, was wiederum der Erhaltung des Systems dient.
Von den Vertretern der afro-brasilianischen Religion werden die Orixás als immaterielle Wesen betrachtet, deren Aufgabe es ist, sowohl die kosmischen Geschehnisse als auch die Naturphänomene zu beeinflussen. Diese bestimmen sowohl das Leben jedes Einzelnen als auch das soziale Leben zwischen den Menschen.
Um die Orixás verstehen zu können, ist es unabdingbar, eine Verbindung zu ihnen aufzubauen. Es ist nicht möglich, sie nur von der Rationalität her zu verstehen. Ein Orixá und seine Wesen lassen sich nicht mittels Recherchen oder Studien begreifen. Dies ist nur durch den Aufbau einer persönlichen Beziehung „als Kinder“ möglich, sei es durch die Aufnahmenriten oder die Teilnahme an den kultischen Aktivitäten. Mensch und Orixá sind zwei Pole einer Beziehung, beide sind für Harmonie bzw. Disharmonie verantwortlich.
Die Beziehung zwischen dem „Elégùn“ und dem Orixá ist von einem familiären und informellen Charakter, die Orixás verkörpern Reinheit und ihre Wahrnehmung der Menschen ist allein möglich durch die Inkorporation derselben. Dies geschieht im Augenblick des In- Trance-Fallens. In diesem Augenblick transformiert sich die Person und dient als Werkzeug, damit der Orixá zur Erde zurückkehren kann, um seinen Gläubigen Grüße zukommen zu lassen und zugleich von ihnen gegrüßt zu werden sowie von ihnen Ehrerbietung zu erfahren.
Der „Terreiro“, wie es allgemein genannt wird, ist der zentrale Ort der liturgischen Aktivitäten im Candomblé und zugleich eine kleine Rekonstruktion Afrikas in Brasilien. Diese „Rekonstruktion“ darf nicht geografisch verstanden werden, sondern ist mythisch zu verstehen. Für die Angehörigen der afro-brasilianischen Religion hat Afrika eine starke symbolische und mythische Bedeutung. Hierbei geht es nicht um das aktuelle Afrika, sondern um das antike Afrika, das Land der Eguns und Orixás – der menschlichen und göttlichen Vorfahren.
Dieses idealisierte Afrika ist der Ort, wohin man nach dem Tode zurückkehrt oder besser gesagt, zu den Ursprüngen, dorthin wo Orum und Aiye sich miteinander im Gleichgewicht befinden.
Die afro-brasilianischen Kultstätten, die Terreiros, stellen einen Versuch dar, Afrika auf „brasilianische Art“ zu rekonstruieren. Ein sehr deutlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass sich in Afrika jeder Terreiro bei der Ausübung des Kultes nur einem Orixá zugehörig fühlt, während sich in Brasilien auf einem Terreiro mehrere Orixás gleichzeitig versammeln können, an erster Stelle allerdings ist stets der Orixá des Priesters oder der Priesterin.
Es ist wichtig hervorzuheben, dass die afro-brasilianische Religion nach und nach ihren Platz nicht nur in Brasilien, sondern auch in anderen Ländern eingenommen hat. Bei Ile Axe Olwa de Ile kommen immer wieder viele Ausländer mit der Absicht, Einblicke in Candomblé zu bekommen und an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Es ist ziemlich schwierig, Menschen, die noch nie den geringsten Kontakt mit unserer Religion hatten, Candomblé zu erklären. Meistens muss ihnen zunächst einmal deutlich gemacht werden, dass Candomblé keine Folklore ist, sondern eine Religion und dass der Synkretismus, wie er in einigen Candomblé-Häusern praktiziert wird, keinen Sinn ergibt.
Nicht vergessen darf man darüber hinaus, dass Candomblé eine Religion ohne schriftliche Grundlage ist. Vieles, was heute noch bekannt ist, wurde mündlich durch die nach Brasilien verschleppten Sklaven gebracht. Natürlich gibt es gute Bücher zu diesem Thema, jedes Buch kann jedoch das gleiche Thema unter verschiedenen Sichtweisen behandeln. Richtiges Candomblé lässt sich jedoch nur im Alltag über den Kontakt mit den Orixás lernen. Bücher dienen lediglich zur Vertiefung des Praktizierten.
Der festliche Teil des afro-brasilianischen Kultes, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist, steht letztlich nur am Ende vielfältiger Aktivitäten. Diese finden auf dem Terreiro während mehrerer Tage statt. Beispielsweise dauert eine Einsetzung (eines neuen Mitgliedes) mindestes 21 Tage und endet mit dem Fest, an welchem der Aufgenommene erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Manoel Correia de Jesus, Pai de Santo, Mitglied do Terreiro Ile Axe Olwa de Ile, Alagoinhas, Bahia
Übersetzung: Günther Schulz
Zum Weiterlesen seien folgende Bücher empfohlen :
Berkenbrock, Volney J. A Experiencia dos Orixás. Vozes. Petropolis, R. J. 1997
Reis, Alcides Manoel dos. Candomble: a panela do segredo. Mandarim. São Paulo, 2000.
Worterklärungen
- OLORUM höchster Gott
- EBORA göttliche Wesen
- ERUPE Schlamm
- OLODUMARÉ Gott des ewigen Schicksals
- ORIXALÁ Schöpfergott
- OLUGAMA Helfer von Olodumaré bei der Erschaffung des Menschen
- ORUM übernatürliche Existenz
- AIYE körperliche Existenz
- AXÉ Dynamik, Vitalität
- ARA AIYE gebräuchlicher Ausdruck für die Bezeichnung eines Menschen
- ELGUN Personen, die in Trance fallen
- EGUNS menschliche Vorfahren
- Ojegbe-Alaso-Ona Name der Gottheit Iku