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“Entgegengesetzte Leben” – eine Novela, die es sich anzuschauen lohnt!

Auch bei uns in Deutschland sind „Telenovelas” im Vorabendprogramm verschiedener Fernsehsender fester Bestandteil. Ihren Ursprung haben diese meist seichten Serien in Brasilien. Diese „Novelas“  ziehen sich über Monate hin und haben jeden Tag – außer sonntags – zu immer derselben Zeit, ein Millionenpublikum.

Täglich sind verschiedene Novelas im Angebot, jede hat ihr Publikum. Traditionell hat der einflussreichste Sender Globo die höchsten Einschaltquoten. Nicht so Anfang des Jahres 2007: Ausgerechnet der sich im Besitz der Pfingstkirche „Igreja Universal do Reino de Deus“ befindende Sender Rede Record bewegt mit seiner Novela „Vidas Opostas“ die Gemüter und sorgt für Rekordeinschaltquoten.

Mehr als eine Novela

Was ist das Besondere an dieser Novela? Sieht man davon ab, dass bekannte Stücke von Chico Buarque die Hintergrundmusik liefern und bekannte Schauspieler die Rollen besetzen, sind es die verschiedenen Facetten Brasiliens, welche geschickt in die Handlung eingebunden sind und – mehr als die Haupthandlung - Aufmerksamkeit hervorrufen. Sie werden in eine Liebesgeschichte eingebettet: Millionärssohn (Miguel) verliebt sich in eine aus der Favela stammende junge Frau (Joana). Beide kämpfen um ihre Beziehung und haben hierbei vielfältige Hindernisse zu überwinden. Die Macht der Drogenkartelle wird thematisiert, und bei einem Blick in die Realität Rios ist die Darstellung nicht übertrieben: So sind die staatlichen Behörden gerade (wieder einmal) in Rio de Janeiro augenblicklich nicht in der Lage, die Situation in den Favelas unter Kontrolle zu bekommen. Allein im „Bairro do Alemão“ gab es innerhalb von sechs Wochen (Mai bis Mitte Juni 2007) mindestens zwanzig Todesopfer. Seit Beginn des Jahres versuchen von der Bundesregierung entsandte Spezialeinheiten in der „schönsten Stadt der Welt“ in einigen Favelas, den staatlichen „Autoritäten“ zu ihrem Recht zu verhelfen, der Macht der Drogenkartelle ein Ende zu setzen. Nicht zuletzt durch das Zusammenspiel von Polizei und Mafia war dies bisher unmöglich. Die Novela wagt sich an dieses „heiße Eisen“ heran, zeigt unverblümt - ohne jedoch plump zu erscheinen – die herrschende Korruption bis in „höhere Kreise“ hinein. Ebenso werden die alltägliche Gewalt auf den Straßen, die Zustände in den Strafanstalten, die unzureichende Witwenversorgung, die überbordende Bürokratie wie auch das völlig unbefriedigende Gesundheitssystem beim Namen genannt. Das staatliche Sozialsystem „INSS“ (Instituto Nacional de Seguro Social) wird kurz von einer Favelabewohnerin zur Iniciativa Nacional Sem Solução“ („Nationale Initiative ohne Lösung“) treffend umbenannt.
Die Bestechlichkeit der Polizei nimmt einen durchgängigen Platz in „Vidas Opostas“ ein. Die bisherige Resonanz der staatlichen Behörden spricht Bände: Es gibt keinerlei Protest!
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Nachdem eine Zeitlang in der fiktiven Film-Favela „Torto“ die Hoffnung bestand, dass die Drogenmafia zerschlagen ist und die „Associação dos Moradores“ für die Favelabevölkerung das politische Sprachrohr darstellt, Verbesserungen erreichen und ein angstfreies Leben ermöglichen könnte, ist am Ende „alles beim Alten“.  Die Favela ist wieder fest in der Hand der Gangster, einige Favelabewohner kollaborieren, die meisten Bewohner „sehen nichts“, und die „Associação dos Moradores“ ist wieder auf ihre soziale Funktion zurückgestutzt. Dennoch vermittelt die Novela  den engagierten Favelabewohnern Mut und fordert sie indirekt auf, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen.
Gelungen an dieser Novela ist, dass sie an Einzelpersonen viele Probleme der brasilianischen Gesellschaft aufzeigt. Da ist zum Beispiel Carlinhos, ein Junge aus der Favela und dessen Traum, reich zu werden. Er sieht für sich nur zwei Möglichkeiten: Berühmter Fußballspieler (was nicht einfach ist) oder Einstieg ins Verbrechermilieu, was – in der Realität - für viele Jugendliche als einzige Chance erscheint. Und hier wird ebenfalls Kritik an den staatlichen Stellen laut: Die engagierten Bewohner bleiben allein, notwendige Sozialprogramme bleiben weitgehend aus.
Die Novela stößt in Brasilien auf eine breite Resonanz: Viele Menschen sind froh, dass Missstände beim Namen genannt werden, erkennen sich und ihre Situation in der Novela wieder, können eine bestimmte Genugtuung an der, oft auch mit bitterem Witz vorgetragenen Kritik an den Behörden, nicht verbergen.
Die Liebesgeschichte als Haupthandlung enthält allerdings groteske Züge: Welcher Drogenboss würde sich mit der Rolle eines „Wartenden“ zufrieden geben? Das heißt, Joana verleugnet ihre „große Liebe“ (Miguel) und verspricht Jackson, dem Bandenchef, sich in der Öffentlichkeit als seine Frau zu präsentieren unter der Voraussetzung, er lässt sie und ihre Familie in Ruhe!
Die Gesamthandlung allerdings ist von einem Realismus gekennzeichnet, der leider tagtäglich von den neuen Horrormeldungen in den Medien bestätigt bzw. noch übertroffen wird. Gerade dieser Realismus beschert dieser Novela eine überwältigende Akzeptanz, zahlreiche Zuschriften an den Sender bezeugen dies.
Im von Korruption und Gewalt geprägten Brasilien von heute ist eine solche Novela weit mehr als „Opium fürs Volk“.  Novelas werden von allen Schichten gesehen, d.h. es bleibt die Hoffnung, dass vielleicht zumindest einige der politisch Verantwortlichen sich ein Beispiel am Novela-Staatsanwalt Leonardo nehmen und den Mut besitzen, entschlossener als bisher gegen die unhaltbaren Zustände vorzugehen. Bis allerdings – wie in „Vidas Opostas“ - eine Favelabewohnerin und ein Millionärssohn zusammenfinden, wird wohl noch einige Zeit vergehen.