Erneut Journalist erschossen - Die meisten Journalistenmorde bleiben unaufgeklärt
In São Luís, der Hauptstadt des nordostbrasilianischen Bundesstaates Maranhão, wurde am Abend des 23. April der Journalist Décio Sá erschossen. Der 42-jährige Reporter der Zeitung „O Estado do Maranhão war vor allem aufgrund seines kritischen Blogs „Blog de Décio bekannt, in dem er über Lokalpolitik, Korruption und organisierte Kriminalität berichtete.
Décio Sá ist bereits der vierte ermordete Journalist in Brasilien in diesem Jahr.
„2011 war mit drei ermordeten Journalisten bereits ein tödliches Jahr für die brasilianischen Medien“, so „Reporter Ohne Grenzen“. 2012 drohe nun noch blutiger zu werden. Für den Präsidenten der Journalistengewerkschaft von Maranhão, Leonardo Monteiro, ist die Ermordung des Reporters des „O Estado do Maranhão“ ein weiteres Attentat gegen die Pressefreiheit.
Die simple Art und Weise wie Décio Sá „hingerichtet“ wurde, ist typisch für einen Auftragsmord in Brasilien: Zwei Männer auf einem Motorrad fahren vor der Bar Estrela Dalva im bei Touristen beliebten Strandviertel von São Luís vor. Der Sozius steigt ab, geht in die Bar, feuert zwei Schüsse in den Rücken sowie vier Schüsse in den Kopf des Journalisten und verschwindet per Motorrad. Laut ersten Ermittlungen verwendete der Mörder eine Pistole der brasilianischen Militärpolizei, Kaliber 40.
Das Attentat auf Décio unterstreiche die Gefahren, die investigativen Journalisten in Brasilien drohen, kommentiert das International Press Institute (IPI). „Wir fordern von den Bundes- und Landesbehörden sowie der örtlichen Polizei eine gründliche Untersuchung des Vorfalls. Die Verantwortlichen müssen verfolgt und verhaftet werden“, so der stellvertretender IPI-Direktor Anthony Mills.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) gehen in Brasilien die meisten Attentäter straffrei aus.
Von den zwischen 1992 und Februar 2012 offiziell registrieren 20 Morden an Journalisten klärte die brasilianische Polizei bisher lediglich sechs auf und brachte die Mörder hinter Gitter. In der von CPJ erstellten Liste von 13 Ländern, in denen während der vergangenen zehn Jahre fünf oder mehr Journalisten ermordet wurden, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden, steht Brasilien an elfter Stelle. „Die Regierungen auf dieser Liste müssen einfach mehr tun, um ihre Verpflichtung auf die Pressefreiheit wirklich zu beweisen“, sagte der geschäftsführende Direktor des Komitees, Joel Simon. „Lippenbekenntnisse retten das Leben von Journalisten nicht.“
Bereits im vergangenen Jahr zeigte sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) besorgt wegen der ungesühnten Journalistenmorde in Brasilien.
Der Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Menschenrechtsabteilung der OAS forderte die Behörden auf, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um die Morde aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Andernfalls könnte die Welle von Gewalt gegen Journalisten nicht eingedämmt werden.
Attentate auf Berichterstatter, Blogger und Reporter sind freilich nur die Spitze eines Eisbergs der Gewalt gegen die Pressefreiheit in Brasilien. Viel häufiger sind Einschüchterungen und Morddrohungen.
Ausgabe 145/2012