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Kämpferisch, unerschrocken, unbequem!

Pedro Casaldáliga zum 90.Geburtstag

Günther Schulz

„Sie werden mich subversiv nennen und ich werde antworten: Genau das bin ich. Ich lebe für den Kampf meines Volkes, mit meinem Volk schreite ich voran. Ich habe den Glauben eines Guerilleros und liebe die Revolution.“ „Alles ist relativ, außer Gott und dem Hunger.“ „Es wird keinen Frieden auf der Erde geben, es wird keine Demokratie geben, die diesen Namen verdient, solange es keine Vergesellschaftung des Bodens, des Gesundheits- und des Erziehungswesens gibt.“

(Pedro Casaldáliga, 1978)

Als am 16. Februar 1928 in dem kleinen Dorf Balsareny bei Barcelona Pedro Casaldáliga geboren wurde, dachte niemand, dass hier gerade einer der größten lateinamerikanischen Befreiungsatheologen das Licht der Welt erblickte. Bereits sehr früh war indes für Pedro klar, dass er sein Leben spirituell gestalten möchte. Er trat 1943 dem Clarentiner-Orden bei, ließ sich am 31. Mai 1952 zum Priester weihen und erhielt mit der Bischofsweihe am 23. Oktober 1971 die Ernennung zum Bischof von São Félix do Araguaia. Hier, an diesem abgelegenen Ort im Bundesstaat Mato Grosso, bis heute auf dem Landweg nur mühsam erreichbar, übte er bis 2005 sein Bischofsamt aus, bis heute lebt er dort.

Von São Félix aus sollte er in den folgenden Jahrzehnten zusammen mit Mitstreitern die „Option für die Armen“ innerhalb der katholischen Kirche entwickeln und verbreiten. Bereits bei der Weihe setzte er ein deutliches Zeichen und zeigte seine Sichtweise vom Christentum auch äußerlich: Er verzichtete auf die üblichen bischöflichen Amtsinsignien und zeigte stattdessen in einem Gedicht seine Solidarität mit den Armen. (siehe Kasten)
Sein erster Hirtenbrief im Oktober 1971 mit dem Titel: „Eine Kirche in Amazonien im Konflikt mit dem Großgrundbesitz und die soziale Marginalisierung“ erregte Aufsehen. Er nahm darin eindeutig Stellung zugunsten der Tagelöhner, Kleinbauern und Indios. Er forderte Gerechtigkeit für die in der Gesellschaft Benachteiligten und Unterdrückten und entsprechend erhielt er in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Morddrohungen seitens der Großgrundbesitzer. Auch mit der Amtskirche kam er während seiner Zeit als Bischof öfters in Konflikt, sei es wegen seiner Reden bzw. Publikationen, deren theologische Interpretationen Rom zu politisch erschienen, sei es weil er die „Ad-limina-Besuche (Anm.: Alle fünf Jahre hat ein Bischof in Rom zu erscheinen) nicht einhielt. Diese empfand er angesichts der Not in der Bevölkerung als reine Geldverschwendung. Während der Vatikan ihn mehrmals maßregelte stand jedoch die Brasilianische Bischofskonferenz CNBB in großen Teilen immer hinter ihm. Ausnahmen gab es natürlich, es sei hier nur der Bischof von Diamantina, Dom Geraldo Proença Sigaud erwähnt, der Casaldáliga und den damaligen Bischof von Goiás, Dom Tomás Balduino, 1977 öffentlich als Marxisten bezeichnete, die im Gegensatz zu den Grundsätzen der Kirche stünden.
In seiner Entscheidung sich als Priester bedingungslos für die Armen zu engagieren sah er sich durch verschiedene Ereignisse bestärkt. Ein bedeutendes Erlebnis war neben der alltäglichen Begegnung mit den Menschen vor Ort die Ermordung des Jesuitenpater João Bosco Penido Burnier im Jahr 1976. Er wurde vor seinen Augen erschossen. Auch mit dem 1980 in San Salvador ermordeten Erzbischof Romero und dem 1989 ebenfalls dort ermordeten Rektor der Jesuitenuniversität Ignacio Ellacuría verband Casaldáliga eine tiefe Freundschaft.
Durch das ganze Leben von Pedro Casaldáliga zieht sich seine unbedingter Einsatz für die Unterdrückten. In seinen Gottesdiensten baute er Elemente der indigenen und der schwarzen Kultur ein, scheute sich nicht von der Kanzel herab die Ausbeutung der Kleinbauern anzuprangern. Auch die Versuche ihn als Kommunisten abzustempeln, prallten an ihm ab. Unerschrocken verfolgte er seine Überzeugung und wirkte an der Realisierung eines christlichen Sozialismus mit. Zugleich war er seit frühen Jahren immer auch ein Poet. In seinen Gedichten handelte es sich um den Menschen bzw. die Schöpfung, oftmals verbunden mit einer politischen Aussage. Nie vergaß er seine Herkunft: sein geliebtes Katalonien. Dies bringt er bis heute in seinem mehrsprachigen Weihnachtsgruß zum Ausdruck. Seit einigen Jahren leidet Pedro an der Parkinsonschen Krankheit, die er liebevoll „meinen Bruder Parkinson“ nennt. Bei meinem letzten Besuch 2008 war er bereits davon gekennzeichnet. Das  hält ihn jedoch nicht davon ab, weiter aufmerksam das politische Leben zu verfolgen. Sein stets bescheidenes Auftreten, sein Mut, die ungerechten Verhältnisse beim Namen zu nennen, seine tiefe Gläubigkeit hinterließen und hinterlassen bei den Menschen, die ihm begegnen, Spuren, machen Mut.

Unser Kontakt nach São Félix

Seit vielen Jahren verbindet uns mit Pedro Casaldaliga ein enger Kontakt. Begonnen hatte alles mit meinem ersten Besuch im Jahr 1989. Obwohl der Tag bzw. die Uhrzeit des Ankommens nicht festgelegt war, war die Begrüßung herzlich. Mich beeindruckte nicht nur die Offenheit, mit der ich empfangen wurde sondern auch die unglaubliche Einfachheit, in der Pedro als Bischof in São Felix hauste.
Der „Bischofssitz“ unterschied sich äußerlich nicht von den Häusern der armen Bevölkerung: Klein, die Lehmwand mit Farbe übertüncht, im Hausinneren einfachste Ausstattung: schon dies ein Zeichen der Solidarität mit den Armen. Bestätigt sah ich diese kompromisslose Haltung mit den Armen auch einige Jahre später als ich bei einer „Assembleia do Povo“ („Versammlung des Volkes“) teilnehmen konnte. Während dieser Tage schlief Pedro genau wie alle anderen Teilnehmer im großen Schlafsaal des Gemeindezentrums in der Hängematte, wie jeder Teilnehmer übernahm er auch die weniger angenehmen Aufgaben, wozu auch die Toilettenreinigung zählte.
Sein Einsatz zugunsten der Landlosen, der Indigenen, der Schwarzen machte ihn, der seine Kraft aus der Bibel schöpfte und deren Auftrag im Alltag realisieren wollte, über Brasilien hinausbekannt. Immer war es auch ein Anliegen Pedros, die „Erste1.Welt“ auf die Ungerechtigkeiten in dieser Welt hinzuweisen, sie zu Solidarität zu bewegen. Wie schrieb er in einem Vorwort zu meinem Buch „Landbesetzung - Hoffnung für Millionen“ im Jahr 1995: „Jede Solidarität, die uns aus der Ersten Welt erreicht – welche schon oft genug unseren Boden und unsere Arbeitskraft ausnutzte, kolonisierend, versklavend, ausbeutend – ist willkommen: es ist nichts anderes als eine Rückerstattung! Wir brauchen diese Solidarität.“

Auch wir, d.h. die brasilieninitiative freiburg e.V., die seit den späten 1980er Jahren die Arbeit von Pedro begleitet und unterstützt, gratulierten Pedro zu seinem 90.Geburtstag und erhielten darauf hin aus São Félix do Araguaia,folgende Zeilen von Paulo Gabriel, der Pedro betreut.

„Liebe Freundinnen und Freunde, Wegbegleiter von Dom Pedro Casaldáliga

Pedro erhielt anlässlich seines 90. Geburtstags viele Glückwünsche, nicht nur von euch, sondern u.a auch von Dilma Rousseff, Gustavo Gutiérrez, Leonardo Boff. Alle waren gekenn-zeichnet von Zuneigung, Bewunderung und Respekt. Sein Einsatz für ein menschenwürdiges Leben, seine Verpflichtung  gegenüber den Armen, den Indigenen und sein Eintreten für eine gerechte Landverteilung wurden immer wieder hervorgehoben. Ich, der ich für Pedro in São Félix do Araguaia sorge, bedanke mich bei euch allen für eure Zuneigung. Ihn zu ehren verpflichtet uns in unserem Leben all dies,was seinem Leben Sinn verleiht, weiter zu führen.”

Paulo Gabriel 26.02.2018“

Als Geburtstagsgeschenk haben Freunde von Pedro ein Archiv mit seinen Publikationen erstellt: „Biblioteca Online Pedro Casaldáliga„

Zusätzlich sei auf diesen Fernsehfilm – auf Spanisch – hingewiesen: „Descalzo sobre la tierra roja“. Der Fernsehfilm erzählt in zwei Folgen das Leben von Pedro Casaldáliga. Der Film beruht auf dem Roman „Barfuß auf roter Erde. Das Leben des Bischofs Pedro Casaldáliga“ von Francesc Escribano , Hermagoras-Verlag, Klagenfurt-Wien, ISBN 3-85013-973-5.

 

Ausgabe 157/2018

Folge 1

Folge 2