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Menschen im Cerrado

Die traditionell lebenden Völker und Gemeinschaften im brasilianischen Cerrado, der neben dem zentralbrasilianischen Hochland auch Teile des Guayanaschilds umfasst, haben verschiedene Lebensweisen und unterscheidbare Beziehungen zu ihren Lebensräumen entwickelt.

Im ethnischen Sinne gibt es Indigene sowie Quilombolas als eigenständige Völker und als traditionelle Gemeinschaften Ribeirinhos, Geraizeiros, Vazanteiros, Veredeiros, die als „Fundo e Fecho de Pasto“ bezeichneten Leute und die Babaçunuss-Sammlerinnen.
All diese Bewohner zeichnen sich durch vier allgemeine Merkmale aus, die sich auf ihre materielle und soziale Reproduktion beziehen:
● Sie unterscheiden sich deutlich von anderen Gruppen der Region. Dies begründet ihren ethnischen Charakter.
● Sie verfügen über eine soziale Organisation, die kollektives Arbeiten begünstigt.
● Sie besitzen Land, auf dem die Geschichte der traditionellen Gruppe historisch eingeschrieben ist.
● Sie haben ein spezifisches Verhältnis zur Natur, das die materielle Reproduktion sicherstellt.
Ergänzt werden diese allgemeinen Merkmale durch typische kulturelle Ausdrucksformen. Die Ausweitung der brasilianischen Agrarfront seit den 1960er Jahren bedeutete für diese traditionellen Völker und Gemeinschaften des Cerrados die gewaltsame Enteignung ihres Landes durch Großgrundbesitzer, die mit bewaffneten Banden ihr Land okkupierten.

Indigene Völker

Die indigenen Völker können anhand ihrer linguistischen Zugehörigkeit voneinander unterschieden werden. Im Cerrado gibt es Gesellschaften der Sprachfamilien der Tupi-Guarani, Macro-Gê, Karib und Aruak. Der brasilianischen Anthropologe César Mellati beschreibt die Gemeinsamkeiten von Völkern aus der gleichen Sprachfamilie. Die Tupi-Guarani charakterisiert eine extreme Wanderungsmobilität, die aus ihrer Suche nach dem ‘Land ohne Übel’ resultiert. (Die Guarani glauben, dass das ‚Land ohne Übel‘ der Ruheplatz der Seele nach dem Tod ist. Sie sind seit mythischen Zeiten auf der Suche nach diesem Land. A.d.Ü.) Dies führte zur Zergliederung dieser indigenen Gruppen. Der Mythos von dem ‘Land ohne Übel’ lebt individuell und familiär weiter.
Die Macro-Gê gelten als besonders kriegerische Völker. In der Vergangenheit kämpften sie gegen die Spanier und Portugiesen, wie zum Beispiel die Guaykuru, die andere Völker anführten. Heute verteidigen sie die Rechte der indigenen Völker Brasiliens gegenüber dem Nationalstaat.
Charakteristisch für die Karib-Völker ist ihre Ethik der Gemeinschaftsbeziehungen. In der Vergangenheit organisierten sie den intertribalen Handel zwischen den verschiedensten indigenen Gesellschaften im karibischen Großraum und darüber hinaus. Diesen organisieren sie bis heute. Beispielhaft sind die Ye´kuana, die autonom in ihren Dörfern leben und gleichzeitig die wichtigsten Organisatoren dieses Handels im Cerrado des nordbrasilianischen Bundesstaates Roraima sind.
Den Aruak-Völkern wird im Szenario der traditionellen Bevölkerungen des Cerrados ein besonderer Bezug zur Mystik nachgesagt. Sie verbanden ihre magisch-mythischen Rituale mit Elementen des Katholizismus und Anglikanismus, die durch Missionare in ihre Kultur eindrangen. Die Karib- und Aruakvölker im Cerrado von Roraima leben u.a. im Indigenengebiet Raposa Serra do Sol, wo bis vor kurzem Reispflanzer versuchten, dieses schon demarkierte Land wieder zu enteignen.

Die Quilombolas-Völker

Die Quilombolas werden von der Verfassung von 1988 als Völker anerkannt. (Quilombos sind ehemalige Wehrdörfer geflohener Sklaven. A.d.Ü.) Zwei allgemeine Merkmale aus der Sklavenzeit tragen wesentlich zu ihrem Verständnis bei. Damals suchten geflohene Sklaven im Landesinneren nach Rückzugsgebieten, in denen sie ein freies Leben in kleinen Gemeinschaften führen konnten. Aufgrund der widrigen natürlichen Bedingungen gab es diese Gebiete tatsächlich, die weder von den Indigenen noch von den Weißen beansprucht wurden, u.a. wegen der ständig drohenden Malariagefahr. Diese Tatsache erleichterte auch die „Unsichtbarkeit“ der Quilombos gegenüber der Sklavenhaltergesellschaft. Das durch die Besetzung von „Niemandsland“ ermöglichte autonome und freie Leben sowie die Unsichtbarkeit sind charakteristisch für alle brasilianischen Quilombos. Viele Quilombogemeinschaften im Cerrado liegen heute eingeschlossen zwischen Rinderfarmen und Betrieben der Agrarmonokultur. Die Großgrundbesitzer und ihre politischen Repräsentanten üben Druck gegen die Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Quilombolas aus. Obwohl mehr als 800 Gemeinschaften von Nachkommen der Quilombos als solche offiziell anerkannt sind, wurden bisher nur 84 Gebiete der Quilombogemeinschaften demarkiert. Für die Demarkierung fehlt zudem der politische Wille sowohl des Präsidenten als auch der Gouverneure. Die Quilombolas unterscheiden sich von anderen traditionellen Gemeinschaften durch ihre afrikanische Abstammung, durch starke Familienbande, afrokulturelle Ausdrucksformen und ihre kollektive Gestaltung des sozialen Lebens.

Die traditionellen Gemeinschaften

Traditionelle Gemeinschaften sind sozial und ethnisch unterscheidbare Gruppen, die in der Verfassung von 1988 als Gruppen benannt werden, die zum Aufbau einer brasilianischen Nationalität beigetragen haben. Die Anerkennung ihrer kulturellen, sozialen und ethnischen Besonderheiten hat allerdings nicht zur Umsetzung in praktisches Recht zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen geführt. Die ethnische Identifizierung dieser Gemeinschaften im Cerrado geschieht durch zwei allgemeine Merkmale, die sich aus der ökologischen Nische ergeben, in der sie in diesem Ökosystem leben und wirtschaften. Zum einen ist es die Anerkennung ihrer ökologischen Ethnizität. Dies bedeutet, dass sie sich aufs Engste mit der sie umgebenden natürlichen Umwelt verbunden fühlen, sich als deren Teil verstehen und darauf ihr Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt begründen. Zum anderen ist es ihr Wissen darüber, dass die von ihnen unterschiedenen anderen traditionellen Bevölkerungsgruppen ebenfalls ein spezifisches Wechselverhältnis mit ihrer ökologischen Nische haben.

Die Geraizeiros

Die Bevölkerung, welche die Gerais besiedelt - so werden die weiten Gebirgszüge im zentralen brasilianischen Bergland genannt, insbesondere in den Bundesstaaten Minas Gerais, Goiás, Bahia, Maranhão, Tocantins und Piauí - werden als Geraizeiros, (auch Chapadeiros oder Leute der Gerais) bezeichnet. Ihre Wirtschaft basiert auf Landwirtschaft, Viehzucht und Sammelwirtschaft. Die Geraizeiros untergliedern die weitläufigen Gerais in mindestens vier große ökologische Einheiten. Es sind die Höhenzüge, die Hochebenen, die Trockenwälder und die Gewässerauen. Sie sammeln verschiedene Cerrado-Früchte, die in den Städten vermarktet werden. Diese Früchte können direkt verzehrt oder zu in ganz Brasilien geschätzten Säften und Fruchteis weiterverarbeitet werden. Sie haben eine einzigartige Form der Aneignung der Natur durch ein besonderes System von Vorstellungen, Verhaltensregeln und Mythen, die ihre kulturelle Grammatik bestimmen. In ihren kulturellen Ausdrucksformen, u.a. bei den Festen zur Verehrung der Schutzheiligen, kommt ihre feste Verwurzelung im Volkskatholizismus zum Ausdruck. Derzeit werden Pläne entwickelt für die Errichtung von Sammelreservaten, die von dieser traditionellen Bevölkerung bewirtschaftet werden sollen. Ziel ist es, die wenigen Flecken des Cerrados zu schützen, die noch nicht in Holzkohle für die nationale Eisen- und Stahlindustrie oder in Sojamonokulturen und Flächen für andere Exportprodukte, die für den welweiten Markt bestimmt sind, transformiert wurden.

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Die Vazanteiros

Auf den Inseln und an den Ufern des Rio São Francisco und anderer großer Flüsse im Norden von Minas Gerais lebt die Bevölkerung, die regional als Vazanteiros bezeichnet wird. Sie leben in Gemeinschaften auf den Inseln und an den Flussufern und zeichnen sich durch eine besondere Lebensweise aus, die an die Bewirtschaftung des Ökosystems des São Francisco-Tals gebunden ist, das als natürliche Gegebenheiten die nicht überschwemmbaren Ufergebiete mit Fischzuchtseen, den Fluss sowie die Inseln umfasst. In den Überschwemmungs- und Trockengebieten betreiben sie Landwirtschaft, Fisch- und Viehzucht sowie Sammelwirtschaft an zyklisch wechselnden Orten. Der natürliche Zyklus des Flusses (Tiefststand, steigendes Wasser, Höchststand, fallendes Wasser) ermöglicht periodisch den Zugang zu fruchtbaren Überschwemmungsauen entlang der Flussufer und der Inseln sowie zu reichhaltigen Fischressourcen, für die die Uferseen Reproduktionsgebiete sind.
Das Leben der Familien wird durch eine ständige Veränderung des Wohn- und Arbeitsortes gekennzeichnet, die sich dem Flussrhythmus anpassen. Die Vazenteiros errichten ihre Häuser bevorzugt an den Fluss- und Inselufern, um die sie Gärten mit Fruchtbäumen anlegen und Kleintierzucht betreiben. Weiter entfernt befinden sich die Felder mit Mischkulturen in kleinen Rodungen, auf denen Sträucher der ursprünglichen Vegetation stehen blieben. Das Landschaftsbild lässt erkennen, dass es nicht nur durch den Zyklus des Flusses, sondern auch durch die Vazanteiros geformt wurde.

Die Veredeiros

Die Bevölkerung, die als Leute der Veredas (Veredas: Oberläufe von Flüssen und Bächen, die mit Buriti-Palmen gesäumt sind, A.d. Ü.) oder Veredeiros bekannt sind, unterscheidet sich von den Geraizeiros. Der grundlegende Unterschied für ihre eigene Ethnizität ist ihre spezielle Bewirtschaftung der Bachläufe und die Nutzung der Buriti-Palme, die diese säumen. Die Landwirtschaft basiert auf einem Drainagesystem entlang der feuchten Bachufer sowie der Verwendung der Buriti-Palme in unzähligen Formen. Sie leben im Dreiländereck Minas Gerais, Bahia und Goiás, wo es besonders viele Veredas gibt. Sie sind stolz auf ihre Vergangenheit, in der sie immer wieder erfolgreich Widerstand gegen Enteignungsversuche ihres Territoriums leisteten. Bedroht sind sie vom Ethnozid, weil Umweltbehörden ihnen ihre traditionelle Bewirtschaftungsform der Bachläufe und der Nutzung der Buriti-Palmen untersagen wollen.
Ein Nationalpark soll auf ihrem Territorium entstehen. Das würde ihre Umsiedlung bedeuten und sie dazu zwingen, die Lebensform der Geraizeiros anzunehmen. Obwohl sie immer die Veredas schützten, wären sie dann dazu gezwungen, die Höhenzüge anders als bisher zu nutzen.

Die Ribeirinhos

Die Ribeirinhos (z.T. auch als Caboclos bezeichnet) leben an den Ufern großer Flüsse, die den Cerrado durchschneiden. Sie heiraten früh und haben große Familien mit  8 – 10 Kindern.  Neben dem Fisch, der durch traditionelle Methoden gefangen wird, werden auf den Feldern Maniok, Kürbisse, Okra, Melonen, Mais und Bohnen angebaut. Ihr Leben wird durch die Überschwemmungsperioden bestimmt, während derer sie ihre unter Wasser stehenden Häuser verlassen. Vor der Expansion der Agrarfront lebten sie in diesen Zeiten auf höher gelegenen Gebieten, sammelten Holz und Früchte im Wald und jagten. Durch die Enteignung dieser großen Gebiete vegetieren sie heute während der Überschwemmungszeit unter prekären Bedingungen dahin. In der Trockenzeit wird Maniok zu Farinha (Maniokmehl) weiterverarbeitet. Sie vermarkten einige wenige landwirtschaftliche Produkte, die sie auf den Überschwemmungsgebieten ernten. Der Fischfang dient der Eigenversorgung, nur sehr große Fische werden verkauft. Das Familieneinkommen wird durch den Verkauf von Kunsthandwerk ergänzt. Großer Schaden entsteht ihnen dadurch, dass Großgrundbesitz und Agrarindustrie die Abflüsse der Seen in den Flussauen versperren, weil sie das Wasser für ihre Ländereien benutzen. Zusätzlich führt das auch zum Rückgang der Flussfauna (die Blockade der natürlichen Abflüsse verhindert die Migration aus der Kinderstube der Fische in den Fluss, A.d.Ü.). Außerdem dürfen die Ribeirinhos nicht mehr die traditionell von ihnen genutzten Gebiete betreten, in denen die ursprüngliche Vegetation auf Grund ihre Wirtschaftsweise noch erhalten geblieben ist, weil die Umweltbehörden gerade dort Naturschutzgebiete errichtet haben. Ein weiterer Schaden entsteht den Ribeirinhos durch den saisonal betriebenen städtischen Fischfangtourismus.

Fundo e Fecho de Pasto-Gemeinschaften.

Die Gemeinschaften der Fundo e Fecho de Pasto leben innerhalb des Cerrados im Übergangsgebiet zur Caatinga, insbesondere im Nordosten Brasiliens. Auf ihrem Land trennen keine Zäune den Familienbesitz von den Nachbarn. Der territoriale Raum bleibt für alle zugänglich. Seit Jahrhunderten bestimmt dieser Umgang mit dem Land ihre gesellschaftliche Realität. Verwandtschaftliche Beziehungen und Freundschaften verbinden sie miteinander. Sie züchten vor allem freilaufendes Groß- und Kleinvieh. Die Landwirtschaft wird nur für den Eigenbedarf und für Futterpflanzen betrieben. Das Kunsthandwerk bessert das Familieneinkommen auf. Die Verfassung von 1988 erkennt ihre Art des kollektiven Grundbesitzes als eine spezifische Form an. Die wichtigsten Charakteristika der Fundos e Fechos de Pastos ist daher das frei von den Familien genutzte kollektive Territorium für extensive Viehzucht und Landwirtschaft. Ihre Ländereien gelten geradezu als ökologische Refugien. Dies ist das Ergebnis einer kontrollierten Nutzung der natürlichen Ressourcen. Jeder gefällte Baum gefährdet nach ihrer Auffassung das ökologische Gleichgewicht als Ganzes und zudem auch die Futterreserven für das Vieh in den Trockenzeiten. Die Feste für ihre Schutzheiligen feiern sie mit Gebeten und typischen Gerichten. Auch sie leiden unter der Ausdehnung der brasilianischen Agrarfront, die sie von ihren kollektiven Flächen verdrängt, sowie an einer fortschreitenden Urbanisierung.

Die Babaçunuss-Sammlerinnen

Die Babaçusammlerinnen leben in Maranhão, Piauí, Pará und Tocantins. Obwohl die Babaçu-Palme im gesamten Cerrado heimisch ist, gibt es diese Gruppe nur dort, weil die weiterverarbeitenden Betriebe sich nur an dieser Stelle angesiedelt haben. Sie leben vom Sammeln der Babaçunuss und ihrer einfachen Weiterverarbeitung, mit der sie das Familieneinkommen erhöhen.
Mit den Blättern der Babaçu werden Dächer gedeckt und Kunsthandwerk hergestellt, der Stamm wird zu Dünger verarbeitet und als Stützbalken in Häusern verwendet, die Nussschale köhlert man zu Holzkohle für Hochöfen, das Fruchtfleisch findet Verwendung in der Kinderernährung, die Nuss wird zu Pflanzenöl verarbeitet, das als Lebensmittel, Treibstoff, Schmiermittel und als Rohstoff für die Seifenherstellung verwendet werden kann.
Babaçusammlerinnen leiden unter der Ausweitung der Rinderfarmen und der Sojamonokultur, in der Agrargifte verwendet werden, die das Nachwachsen neuer Palmen verhindern. Der Zugang zum Sammeln der Babaçu wird von Großgrundbesitzern verwehrt (dort haben sie Sammelrechte. A.d.Ü.), deren Besitz oft durch Landraub und illegale Okkupation öffentlichen Landes erworben wurde, was derzeit durch steigende Grundstücks-, Lebensmittel- und Rohstoffpreise noch stimuliert wird. Eine veränderte Verarbeitungstechnik der Pflanzenölunternehmen und der Holzkohlehersteller, die die gesamte Frucht verarbeiten, ohne den Nusskern zu entfernen, bedrohen ebenfalls ihre Ökonomie. Die Babaçusammlerinnen haben mit Unterstützung der sozialen Bewegungen die Ausweisung einiger Sammelreservate zum Schutz der Babaçuvorkommen erkämpft, aber die endgültige Demarkierung wird nicht zielgerichtet betrieben. Die Zerstörung der Sammelgebiete schreitet daher weiter voran und die Familien werden nach wie vor von Großgrundbesitzern bedroht.

João Batista de Almeida Costa ist Ethnologe an Universität Montes Claros, Minas Gerais

Nr. 139-2009