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Pfingstkirchen

Für Gott ist alles möglich - Pfingstkirchen in Brasilien
Ronivaldo da Silva, 39 Jahre alt, verheiratet, Vater von drei Kindern. Lotterieverkäufer im Zentrum São Paulos, Ex-Alkoholiker, Ex-Billardspieler, Ex-Arbeitsloser, Ex-Katholik. Mitglied der Igreja Universal do Reino de Deus (Universalkirche des Reiches Gottes).

Seine Bekehrung geschah während einer Versammlung der Neu-Pfingstkirche Igreja Universal do Reino de Deus, von ihren Angehörigen „Universal“ genannt, am Stadtrand São Paulos. Es geschah in einem Versammlungsraum mit 2.500 Plätzen. Das ist ein kleiner Raum,   gemessen an manch anderen der insgesamt 3.000 über ganz Brasilien verstreuten Versammlungshäuser. Insgesamt ist die Universalkirche bereits in 46 Ländern vertreten und hat 6 Millionen Mitglieder.
Wie Ronivaldo versammeln sich samstagabends Tausende Gläubiger, die Hände sind fast ständig in Bewegung, im Chor wird gesungen. Manch einer, überwältigt von seinen Gefühlen, dankt laut weinend für seine erfolgte Bekehrung.
„Wenn es die Universal nicht gäbe, wäre ich entweder tot oder im Gefängnis oder – noch schlimmer – wäre Alkoholiker, am Straßenrand dahinvegetierend, wie ein herrenloser Hund“, beteuert Ronivaldo. Er fügt hinzu: „Gott hat mich von meinen Lastern geheilt, mir Arbeit besorgt und meiner Familie Frieden zurückgebracht, den Teufel vertrieben.“
Äußerungen wie diese sind immer öfter im heutigen Brasilien zu hören (und verbreiten sich derzeit mit rasanter Geschwindigkeit in ganz Südamerika), vor allem in den Randgebieten der großen Städte. Dieses Faktum spiegelt die Armut, die Vernachlässigung und die fehlenden Perspektiven wider, die das Leben der Bewohner in diesen Gebieten kennzeichnen. Die Pfingstkirchen nehmen diesen vom Staat vernachlässigten und oftmals aufgegebenen Platz ein, bieten eine Netz von sozialem Schutz, die Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Verbesserung und damit auf eine allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen an. Sie wird nicht in einer ungewissen Zukunft oder im Paradies nach dem Tode, sondern hier und jetzt eintreten. „Gesundheit, Wohlstand, Erfolg – heute – jetzt sofort – Du hast es verdient!“
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{mosimage} Die Geschichte der Pfingstkirchen beginnt am Anfang des 20. Jahrhunderts in Los Angeles in den USA: Es wird berichtet, dass 1906 die Gläubigen in der evangelischen Gemeinde des schwarzen Predigers John Seymour auf einmal in fremden Sprachen redeten, in Ekstase fielen, tanzten, sangen und beteten. Dieses Geschehen hatte zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt Arbeitslose, einfache Arbeiter, Schwarze, Mestizen, Latinos und arme Frauen diesen Ort aufzusuchen begannen. Alle sangen, tanzten, weinten und beteten, umarmten sich, ohne auf die Trennung nach Hautfarbe oder Herkunft zu achten. Dies allein war in der damaligen weißen und rassistischen Gesellschaft Nordamerikas eine Art Wunder. Aber das “Wunder“ geschah tatsächlich. Man behauptet, dass John Seymour das Erdbeben, welches São Francisco zerstören sollte, vier Tage zuvor in einer flammenden Rede vorhersagte. In dieser Predigt drohte er den Gläubigen mit dem  „göttlichen Zorn“, der die Erde zittern lassen werde.
In Brasilien ist die Ausweitung der Pfingstkirche kein erst seit kurzem auftretendes Phänomen. Der Beginn liegt auch hier ungefähr 100 Jahre zurück. 1910 gründete sich die „Congregação Cristã do Brasil”  und im folgenden Jahr die „Assembléia de Deus” in Pará. Die Missionare kamen aus den USA mit dem Auftrag, Brasilien zu evangelisieren. Beide Kirchen verbanden der Anti-Katholizismus, ein Sektierertum und das Zurückweisen „mondäner“ Werte.
Gemäß ihrer Lehre betonen die traditionellen Pfingstkirchen die Zungenrede, die Prophezeiungen und die Offenbarung des Heiligen Geistes gefolgt von der Taufe mit dem „Taufversprechen“.
Eine zweite Gruppe von Pfingstkirchen kam in Brasilien in den 50er Jahren an. Ihren Beginn nahmen sie mit dem „Nationalen Kreuzzug der Evangelisierung“ in São Paulo. Damit begannen die Predigten, in denen die göttliche Heilung im Mittelpunkt stand, der Gebrauch des Radios als Glaubensverkündigungsinstrument wurde entdeckt. Aus dieser  Bewegung heraus entstanden „Igreja do Evangelho Quadrangular“, „O Brasil para Cristo“, „Deus é Amor“ und „Casa da Benção“.
1977 kam schließlich eine neue und wirkungsvolle Form der Massenevangelisierung auf: die „elektronische Kirche“ – der „Neo-Pentecostalismo“ („Neu-Pfingstkirche“). Diese Kirche (oder für viele Menschen Sekte) , die „Universal do Reino de Deus“ des „Bischofs“ Edir Macedo, sollte der Katholischen Kirche in Lateinamerika, und seit kurzem auch in Afrika Kopfschmerzen bereiten:
Obwohl Brasilien immer noch das Land mit den meisten Katholiken weltweit ist, nimmt die Zahl der Zugänge seit einem Vierteljahrhundert kontinuierlich ab.
Zwischen 1940 und 1980 sank die Zahl der Gläubigen in der Katholischen Kirche um 6 %, in den letzten 20 Jahren gab es einen Rückgang von 14 %. Was ist, wenn dieser Verlust andauert und sich beschleunigt? Sicherlich gibt es zahlreiche und unterschiedlichste soziale, ökonomische und moralische Gründe, die hier jetzt nicht erläutert werden können. Tatsache ist, dass parallel zum Rückgang der Gläubigen in der katholischen Kirche ein enormer Anstieg der Mitglieder der verschiedensten pfingstkirchlichen Gruppierungen zu verzeichnen ist, vor allem der „Neupfingstler“ Alles deutet darauf hin, dass dieses Anwachsen andauert, vor allem in den armen städtischen Gebieten. Dies wird das religiöse Bild des Landes verändern, dessen Geschichte seit der Ankunft der Kolonisatoren vor 500 Jahren eng mit dem Katholizismus verbunden ist.
A Igreja Universal do reino de Deus - die Universalkirche des Gottesreiches
Keine andere Kirche wuchs in Brasilien in so kurzer Zeit derart wie die Universalkirche. 1985, nach nur acht Jahren Existenz, gab es bereits 195 Versammlungshäuser. Zwei Jahe später zählte man 356, und wiederum zwei Jahre danach war deren Zahl auf 571 angestiegen. Von 1980 bis 1989 gab es somit einen Anstieg der Versammlungsorte von 2.600% !
Die Lehre der Universalkirche ähnelt derjenigen der anderen Pfingstkirchen: Es sind der Glaube an die Göttlichkeit Jesu, die Dreifaltigkeit, die körperliche Auferstehung von Jesus und die Errettung durch den Glauben. Die Besonderheit der Universalkirche ist die persönliche Lehre des selbsternannten Bischofs Edir Macedo, des geistlichen Gründers dieser Kirche. Seine Lehre beruht auf der Austreibung des Teufels aus den Körpern und in einer “Theologie des Wohlstandes”. Die Universalkirche praktiziert den Exorzismus, da die Inbesitznahme durch den Teufel als physische, psychische und materielle Übel verstanden werden: Schlafstörung, Angst, Migräne, Ohnmachtsanfälle, Epilepsie, Ehebruch, Eifersucht, Neid, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Aids. Um davon geheilt zu werden, bedarf es – neben den Exorzismus-Sitzungen - des Kaufs von Gegenständen, welche die Heilung fördern, wie der “Fläschchen mit Wunderwasser aus dem Jordan”, der “Reinigungsseife”, dem “vom Heiligen Geist gesegnten Salz” und weiterer magischer Formeln.
Die Sprache der Prediger ist einfach, direkt, mit einer minimalen theologischen Aussagekraft und einem Maximum an Versprechungen und Hoffnung vermittelnden Aussagen bezüglich der schlechten Lebensbedingungen der Gläubigen.
Um Prediger der Universalkirche zu werden, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Bekehrung, starkes Engagement, verbunden mit dem Wunsch, am “Werk Gottes” mitzuarbeiten. An manchen Orten werden sechsmonatige Kurse angeboten, in denen der Priesteramtskandidat die grundlegenden Prinzipien des Christentums aus der Sichtweise der Universalkirche erlernt.
Um in der Hierarchie der Kirche aufzusteigen, müssen die angehenden Pastoren ihre Fähigkeit beim Eintreiben des “Zehnten” und anderer materieller Gaben beweisen. Diese Fähigkeit wird als “göttliche Gabe” betrachtet.
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Für denjenigen, der nicht freiwillig in der Kirche arbeitet und keine Aufgabe als Pastor wahrnimmt, ist das Geben des “Zehnten” und sonstiger Gaben ein konkretes Zeichen der Glaubensausübung und es zeigt zugleich sein Vertrauen in Jesus und die “Igreja Universal”:
Den Großteil der eingehenden Gelder investiert die Universalkirche in den Ausbau der elektronischen Medien, in den Kauf von Radio-und Fernsehanstalten, den Erwerb von Immobilien, in die Bezahlung der enormen Anzahl von Pastoren und Angestellten sowie in die Verbreitung “missionarischer Aktivitäten”.
Kritische Stimmen gibt es von allen Seiten. Gerüchte besagen, dass die Universalkirche von ausländischem Kapital oder sogar vom CIA finanziert sei, um die Befreiungstheologie zu zerschlagen. Soziologen in Lateinamerika spotten: “Die Befreiungstheologie hat die Option für die Armen erfunden, aber die Armen haben die Pfingstkirche gewählt.”
Viele sozial engagierte Intellektuelle finden es unmoralisch, wenn die Pastoren der Pfingstkirchen den Menschen aus den Favelas Geld abzunehmen, um damit ihre Kirche aufzubauen und zu finanzieren.
Die Frage selbst ist von größerer Komplexität. Die Menschen in den Favelas von Rio, São Paulo und anderen großen Städten in Brasilien glauben nicht mehr daran, dass ihre Probleme in absehbarer Zeit auf politischer Ebene gelöst werden können.
Wer will ihnen einen Vorwurf machen, wenn sie auf ein Wunder hoffen, das  sie aus der Armut befreien wird? Ihrer Ansicht nach ist für Gott alles möglich.
Maria Aparecida Moraes-Schulz, BN 136/2006
Übersetzung: Günther Schulz
 
Die Universalkirche besitzt verschiedene Unternehmen, wie beispielsweise TV Mulher, Rede Record (mit 63 Sendeanstalten),  62 Radioanstalten in Brasilien, “Gráfica Universal” (publiziert Folha Universal mit einer Auflage von 1,5 Millionen wöchentlich), den Verlag “Universal Produções”, den Verlag Ediminas (publiziert die Zetung “Hoje em dia” in Belo Horizonte), das Aufnahmestudio Line Records,  UniLine Processamento de Dados; das Bauunternehmen Unitec, die Versicherung UniCorretora , die Videoproduktion “Frame”, das Reiseunternehmen “New Tour.”


{mosimage}Der “Zehnte” entspricht dem zehnten Teil eines Monatslohns (neben Vergünstigungen, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld), die ein Mitglied der Pfingstkirche monatlich seiner Kirche zukommen lässt. Diesen Beitrag gilt es für die “Evangelisierung” zu spenden.
In der Politik gelang es der Universalkirche 1986 erstmals einen Bundesabgeordneten zu stellen, 1990 waren es bereits vier, 1998 stieg deren Zahl auf vierzehn, um im Jahr 2002 auf 22 Abgeordnete anzusteigen! In diesem Jahr wurde auch erstmals ein Sitz im Senat erobert. In den Länderparlamenten stelt die Universalkirche Dutzende von Abgeordneten und ist inzwischen eine beachtenswerte poitische Größe. Vor Wahlen fordert sie zur Wahl bestimmter Abgeordneten bzw. Parteien auf, und es gelingt ihr mühelos Stimmen für ihr nahestehende Kandidaten zu erlangen.

BN 136/2006