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Umbu-Marmelade – Köstlichkeit aus dem Sertão

Wie viele Erfolgsgeschichten geht auch diese auf die Initiative von Frauen zurück. In Nachbarschaftshilfe beschäftigte sich eine Gruppe von Kleinbäuerinnen mit der Verbesserung der Ernährung für die eigene Familie.

 

Bei regelmäßigen Treffen besann man sich auf die alten Rezepte zur Umbu-Frucht wie „Umbuzada“ (die mit Milch aufgekochte Frucht) oder „Mendenge“ (Süßspeise aus der noch grünen Frucht) und „Geleia do Umbu“, der Marmelade aus der Frucht des wild wachsenden Umbu-Baumes.
In der Caatinga, wie das Ökosystem des Sertão, das Hinterland des brasilianischen Nordostens, heißt, ziehen sich die Pflanzen so weit wie möglich zurück, machen sich so klein wie möglich, um der sengenden Sonne zu entgehen. Die kleinste Form ein Blatt auszubilden ist ein Stachel, von denen die Bäume, Büsche und Kakteen in der Caatinga mehr als genug haben. Bei einer Verdunstungsrate, die dreimal höher liegt als die Niederschlagsmenge, trocknet der Boden bereits kurz nach der Regenzeit schnell aus und aus dem knochentrockenen staubigen Boden überragt der Mandacaru viele anderen Pflanzen. Bis zu fünf Meter erreicht der kandelaberähnliche Kaktus, der gerne als Symbolfigur für die Caatinga genutzt wird.
Doch eigentlich hätte eine andere Pflanze, nämlich der Umbu-Baum, die Ehre verdient, die Caatinga zu symbolisieren: „Der Baum, der zu trinken gibt“, heißt er in Tupí-Guarani (y-mb-u), da er die Fähigkeit hat, in seinen kartoffelartigen Knollenwurzeln Wasser zu speichern. Eineinviertel Liter pro Knolle und bis zu 3.000 Liter bei einem ausgewachsenen Baum können gespeichert werden. Bei ausbleibendem Regen, der Dürre, die sich auch auf mehrere Jahre ausdehnen kann, sind diese Wurzeln oft die letzte Zuflucht, um etwas Wasser in der semiariden Caatinga zu finden. Wegen dieser Fähigkeit wird der Baum von Euclides da Cunha in seinem berühmten Buch „Os Sertões“ auch der „heilige Baum des Sertão“ genannt.
Bei den 10 bis 15 Meter hohen Bäumen ist das untere Blattwerk meist von den frei laufenden Ziegen abgefressen, so dass er an einen großen Pilz oder einen Sonnenschirm erinnert, der schützenden Schatten spendet und deshalb auch gerne für kleinere Zusammenkünfte genutzt wird. Ab Dezember trägt der Baum reife Früchte, die auf den Märkten der großen Städte verkauft werden und dort die abgewanderten Sertanejos mit ihrem typischen Geschmack an die alte Heimat erinnern.{mospagebreak}
Doch dies ist nicht nur Folklore, sondern auch ein gutes Geschäft. In der Erntezeit sind es doch gleich mehrere LKW-Ladungen dieser Frucht, die eine Kleinstadt wie Uauá im Norden Bahias täglich verlassen. Allerdings kein gutes Geschäft für die Kleinbauern, die von den motorisierten Zwischenhändlern nur mit ein paar Centavos für das Sammeln der Früchte entlohnt werden.
 Mit Unterstützung der Nichtregierungsorganisation „IRPAA“ wurde 2003 von der Frauengruppe aus Uauá die Kooperative „Coopercuc“ (Cooperativa Agropecuária Familiar de Canudos Uauá e Curaçá) gegründet und ein Konzept zur Vermarktung der verarbeiteten Frucht entwickelt. Die Vermarktung auf den lokalen Märkten war sehr erfolgreich und brachte schnell eine Ausweitung der Produktion und den Bau einer kleinen Fabrik mit sich. Heute verkauft die Kooperative, in der sich knapp 300 Familien zusammengeschlossen haben, über 100 t der Umbu-Marmelade pro Jahr. Darüber hinaus wurde das Sortiment erweitert, sodass auch Marmelade aus der wilden Maracuja (Maracuja do mato) und anderen Früchten angeboten wird.  
Der größte Abnehmer der Produkte von Coopercuc ist die brasilianische Regierungsorganisation CONAB. Diese hat ein Programm entwickelt, das den  Aufkauf von Produkten der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu Vorzugspreisen vorsieht, um diese dann für Schulspeisungen, in Altenheimen und anderen öffentlichen Kantinen zur Verfügung zu stellen.  
Seitdem die Fabrik und damit die Früchte zu einer wesentlichen Erhöhung des Familieneinkommens beitragen, hat sich bei vielen das Verhältnis zu Fauna und Flora der Caatinga geändert. Während bisher die freilaufenden Ziegen meist die jungen Sprösslinge der Pflanzen abfraßen, werden diese jetzt geschützt und damit der meist alte Baumbestand verjüngt.  Mit dem Umweltministerium wird ein Programm zum Thema Soziobiodiversität durchgeführt, das unter anderem die Aufforstung mit den natürlich vorkommenden Pflanzen finanziert. Dabei geht man davon aus, dass nur die Menschen, die in dem Biom Caatinga leben, für eine nachhaltige Pflege und Nutzung der Umwelt sorgen können
Die Kooperative ist Mitglied der „Slow-Food“-Bewegung geworden, die sich für einen anderen Umgang  mit Pflanzen und Tieren einsetzt. Eine andere Esskultur und der internationalen Austausch von Geschichten und  Wissen zu Lebensmitteln speziell zu solchen, die in Vergessenheit geraten sind, werden von „Slow Food“ gefördert. Dazu zählen im Nordosten jetzt auch die Umbu-Frucht und das Öl aus der Licuri-Palme.
Coopercuc ist gut organisiert und bildet heute einen bekannten Referenzpunkt für viele ähnliche Initiativen in Nordostbrasilien. Über 1.000 Einträge hat das Buch, in das sich jeder Besucher der Kooperative einträgt. Die Verantwortlichen für Produktion, Administration und Vermarktung sind zu gesuchten Referenten bei anderen Kooperativen geworden, denn ihre Beiträge stammen aus der eigenen Erfahrung und sind damit leichter für andere Kleinbauern zu verstehen und zu akzeptieren. Längst werden die Vorschriften und Formulare für den Export beherrscht, und seit 2006 besitzt man auch eine eigene Exportlizenz.{mospagebreak}
Für den internationalen Markt fand sich mit der EZA in Wien ein europäischer Handelspartner, wurde und wird die Kooperative doch vom katholischen Männerbund in Linz und von Horizonte 3000 in Wien unterstützt.
Die EZA, das Faire Handelshaus in Wien, brachte die Kooperative mit der Siegelorganisation FLO e.V. in Kontakt und sorgte auch dafür, dass Coopercuc ihre Produktion heute mit diesem Sozialsiegel und einem international anerkannten Biosiegel vermarkten kann.
„Das Fair Trade Siegel zu bekommen, war gar nicht so schwer, es zu behalten ist sehr viel schwieriger“, sagt der Produktionsleiter der Marmeladenfabrik. Denn jedes Jahr steigen die Anforderungen durch FLO e.V. an die Kooperativen. Neben den Minimalkriterien, die FLO bei der Erstzertifizierung prüft, kommen steigende Anforderungen an die eigene Organisiertheit  der Kooperative, die Unabhängigkeit von Zwischenhändlern, als auch eine höhere Kenntnis der ökologischen und nachhaltigen Bedingungen des Anbaus und der Produktion. Dies mündet in einem Prozess, der sich aus der Sicht der Kooperative lohnt, weil er wesentlich zur Professionalisierung der eigenen Arbeit beiträgt.
Es gibt noch viel zu tun. Unter anderem steht die Ausweitung des Marktes in Brasilien in Europa  oder auch in den USA auf der Tagesordnung, denn auch betriebswirtschaftlich muss sich der Export der Marmelade letztendlich ja rechnen. Für viele kleine Kooperativen ist der Preis für die verschiedenen Siegelungen durchaus ein sehr ernsthaftes Problem.
Aber auch die Kosten für die Produktion können noch gesenkt werden. Neben den Früchten ist Zucker Hauptbestandteil der Marmelade. Und auch dieser muss den Anforderungen der Siegelorganisationen entsprechen. Zwar ist Brasilien der größte Zuckerproduzent der Welt, Zucker jedoch, der all die notwendigen Kriterien erfüllt, findet man derzeit  in ganz Brasilien nicht. Manduvira, eine Produktionsgenossenschaft im 3.000 km entfernten Paraguay, beliefert heute Coopercuc. Dafür müssen aber sehr hohe Transportkosten aufgebracht werden.
Sicher sollte man die Kooperative mit diesem Problem nicht alleine lassen. Kleinbäuerliche Zuckerproduzenten gibt es im benachbarten Pernambuco und mit etwas Unterstützung kann man den Zucker sicher bald aus dem Umland beziehen.
Die Umbu-Marmelade gibt es auf dem deutschen Markt noch nicht, denn EZA beliefert nur Konsumenten in Österreich. Solange die deutsche GEPA sich noch nicht für dieses Produkt interessiert, werden neugierig gewordene Leser der Brasilien Nachrichten sicher bei der EZA nicht abgewiesen.

Kurt Damm

Nr. 140-2009 Herbst