Clarice Lispector - Eine Biografie - Why This World.
Moser, Benjamin. Übersetzung Bernd Rullkötter. btb Verlag München 2015. 564 S. € 14.99
Wer hat ein Buch von Clarice gelesen und sofort verstanden? Ob nun „Nahe dem wilden Herzen“ (Perto do coração selvagem) oder „Die Passion nach H.G.“ (A paixão segundo G.H.): Man versinkt in Worten, Sätzen und schließlich im ganzen Buch, besonders wenn die Übersetzung herausragend ist (oder war).
An ein Original habe ich mich bisher nicht getraut, doch nach dem Lesen der Biografie von Moser ist dieser Schritt notwendig geworden.
Moser beschreibt bestürzend genau die Situation der russischen Juden um die vorletzte Jahrhundertwende. Eltern und Großeltern kommen mit den Worten der älteren Schwestern Clarices zu Wort. Der Weg von Weißrussland über Rumänien und Deutschland nach Brasilien, Maceió und schließlich Recife. Clarice sagt immer von sich: Ich bin Brasilianerin, doch ihre russisch-jüdischen Wurzeln kann sie (nach Moser) nicht verleugnen.
Moser, der auch eine Werkausgabe vorbereitet, geht genau auf alle Werke Lispectors ein, auch auf ihre journalistische Tätigkeit, ihre Interviews, ihre Kolumnen, ihre Erzählungen. Er bettet sie auch in den jeweils zeitgeschichtlichen Kontext ein. Man merkt, dass er diese Frau bewundert und sehr mag, dennoch ist eine gewisse Distanz spürbar.
Was ich bei dem Werkverzeichnis vermisse, sind die Hinweise auf Übersetzungen, die vor einiger Zeit auf Deutsch erschienen, aber aktuell nicht mehr lieferbar sind. Zwei Titel Lispectors gibt es jetzt noch auf Deutsch, nämlich die beiden oben erwähnten, wichtigsten Werke. Die anderen, wie „Aqua viva“, „Der Kreuzweg des Körpers“, „Die Nachahmung der Rose“ oder die Erzählungen, sind nur noch antiquarisch zu erhalten.
Anne Reyers