Neun Nächte
Carvalho, Bernardo, Deutsch von Karin von Schweder-Schreiner. 2007, btb 73702.
Wer war Buell Quain? Ein us-amerikanischer Anthropologe, der sich 1939 im brasilianischen Urwald das Leben nahm, auf eine ‚äußerst abscheuliche und brutale Weise’. Niemand weiß warum, ...
... aus Liebeskummer, aus Angst vor Einsamkeit oder einer Krankheit – die Spurensuche, die ein Journalist aus Rio eher zufällig beginnt, wird zu einer Obsession, zu einer Besessenheit, die ihren eigenen Sog entwickelt. Und je tiefer der Erzähler in Quains Leben eindringt, um so mehr vermischen sich seine eigenen Erinnerungen mit denen Quains, desto fließender sind die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit. Und in diesen Strudel wird der Leser mit hineingenommen.
Als Quain sich das Leben nimmt, lebte er bei den Krahô-Indianern in Amazonien, war 27 Jahre alt und ein bereits weit gereister Anthropologe, der unter anderem mit Claude Levi-Strauss verkehrte. Der brasilianische Autor und Journalist stolpert in einem Artikel über einen anderen Anthropologen – 62 Jahre später – über einen Nebensatz: der Fall Buell Quain, der sich im August 1939 bei den Krahô-Indianern umbrachte. In der Folge forscht er nach, findet Briefe, spricht mit Nachfahren von Zeitgenossen, fährt selbst an den Rio Xingu. Er spricht mit einem Mann am Xingu, dem Quain in neun Nächten von seinem Leben, seinen Ängsten und Erfahrungen berichtete.
Es entsteht das Porträt eines Fremden in der Fremde, eines Suchenden, eines Verzweifelten und in einer Art Doppelporträt spricht hier der Journalist auch von sich selbst. Er vermischt eigenen und fremde Erinnerungen, sendet Botschaften aus, die Zeitgeschichte (09/11) verhindert weitere Nachforschungen und schließlich holt die Fiktion ihn ein. Die morbide Neugier, die ihn trieb, erlischt.
Der Sog, den der Ich-Erzähler wie auch der Autor Carvalho erzeugt, zieht auch den Leser in den Bann. Eine Geschichte, die Wald, Menschen, Erleben atmet, die Suche, Erinnerung, Wahrheit, Fühlen vermischt – solange bis man nicht mehr weiß, von welchem Erzähler welcher Strang ist. Und doch – man legt das Buch erst nach der letzten Seite aus der Hand, und ist erstaunt, sich nicht am Rio Xingu zu befinden.