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Bayer und BASF im Pestizidcheck

Christian Russau

Auf der Semana da Arte Moderna 1922 in São Paulo, so ist es überliefert, erfand der Bibliothekar, Journalist, Poet, Komponist, Humorist und Werbetexter Bastos Tigre das Motto „Se é Bayer é bom“ („Wenn es Bayer ist, dann ist es gut“). Kaum ein Werbespruch ist in ganz Lateinamerika (in spanischsprachigen Ländern als „Si es Bayer, es bueno“) so bekannt geworden. „Se é Bayer é bom“ – ist es das wirklich?

Der derzeitige Vorstandsvorsitzende von Bayer, Werner Baumann, erklärte im vergangenen Jahr: „Genauso wichtig wie unsere Finanzziele sind uns unsere Nachhaltigkeitsziele. Als führendes Agrarunternehmen wollen wir der gestiegenen Verantwortung gerecht werden und den Dialog mit der Gesellschaft vertiefen.“ „Den Dialog mit der Gesellschaft vertiefen“ – das ist eine Einladung, der auch Redakteure der BrasilienNachrichten nicht wiederstehen können. Wir sind in Dialog mit Bayer getreten. Zum wiederholten Male. „Se é Bayer é bom?“, wollten wir wissen, und zwar in Bezug auf Brasilien und die von Bayer dort zum Verkauf angebotenen Pflanzenschutzmittel, wie Bayer sie nennt. Denn bereits im Jahr 2016 hatten wir Bayers brasilianische Produktpalette auf die Frage hin untersucht, ob und welche Wirkstoffe Bayer in Brasilien vertreibt, die in der EU verboten sind. Diese Untersuchung haben wir drei Jahre später wiederholt. Das Ergebnis: Die Zahl der von Bayer in Brasilien vertriebenen, aber in der EU nicht zugelassenen Wirkstoffe hat nicht ab-, sondern im Gegenteil zugenommen. Traf dies im Jahr 2016 noch auf acht Wirkstoffe zu, so waren es 2019 bereits zwölf Wirkstoffe, die in Brasilien vertrieben, in der EU aber laut der EU-Pestizid-Database verboten sind. Dies entspräche einem Anstieg um satte 50%.
Im Januar 2016 erklärte Bayer auf unsere Anfrage: „Zuerst möchten wir darauf hinweisen, dass Bayer in allen Ländern, in denen das Unternehmen tätig ist, ausschließlich Pflanzenschutzmittel vertreibt, die im jeweiligen Land behördlich zugelassen und bei sachgemäßem Umgang sicher sind für den Anwender, den Verbraucher und die Umwelt. – Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Ländern deutliche Unterschiede, was die lokal angebauten Kulturen, Böden, Vegetationszonen, Anbau- und Klimabedingungen sowie das Auftreten von Schadinsekten, Unkräutern und Pflanzenkrankheiten angeht. Gerade in tropischen Ländern – das gilt für Südamerika genauso wie für Afrika und Asien – gibt es eine Vielzahl von Krankheiten und Schädlingen, die jeweils nur dort vorkommen. – Dies lässt sich am Beispiel Brasilien sehr gut erklären. Die von Ihnen zur Verfügung gestellte Liste enthält Wirkstoffe, die die Basis für Pflanzenschutzmittel sind, die in wichtigen Anbaukulturen wie Kaffee, Reis oder Zuckerrohr eingesetzt werden – alles Pflanzen, die in Europa kaum heimisch sind oder dort nur in sehr geringem Maße angebaut werden. Daher hat Bayer – auch aus wirtschaftlichen Gründen – für diese Mittel keine Zulassung in europäischen Ländern beantragt.“ 2019 haben wir die schriftliche Anfrage wiederholt und auf Basis der um 50 Prozent gestiegenen Wirkstoffe, die in der EU nicht zugelassen sind, aber von Bayer in Brasilien verkauft werden, gefragt, wie es zu dieser in unseren Augen offenkundigen Doppelmoral kommen kann? Eine schriftliche Antwort wurde nie zugestellt, das war wohl zu viel des Dialogs. Auf der Aktionärsversammlung am 26. April dieses Jahres in Bonn haben wir dann doch nochmal einen Dialogversuch mit Bayer unternommen. Die Antwort war wieder, es ginge dabei um unterschiedliche Agrarkulturen in verschiedenen Klimazonen, deshalb habe Bayer keine Zulassung für diese Produkte in der EU beantragt. Wieder kein Wort davon, dass beispielsweise auf EU-Ebene allein der Wirkstoff Carbendazim seit Dezember 2014 nicht mehr zugelassen wurde, dass Thidiazuron 2008 und Thiodicarb 2007 keine Zulassung mehr erhielten und Thiram 2018 verboten wurde.
So gilt, wie es scheint, bei Bayer noch immer: Alles was legal ist, kann auch gemacht werden. Dies hatte Bayer schon Ende der 1980er Jahre eingeräumt. 1988 sagte der damalige Vorstandsvorsitzende von Bayer, Hermann J. Strenger: „In der Tat haben wir zum Beispiel in Brasilien nicht Gesetze wie in der Bundesrepublik.“ Dennoch sah er bei seiner Firma keine Doppelmoral walten, denn er ergänzte: „Aber wir stellen bei unseren Investitionen in Brasilien oder Indien, in den USA oder in Japan die gleichen Anforderungen wie hier.“ 31 Jahre später verkauft Bayer in Brasilien noch immer Herbizide, Insektizide und Fungizide, die in Europa verboten sind. Also doch eine Doppelmoral.
Und dies gilt offenkundig auch für BASF. Same procedure wie bei Bayer: Die Zahl der von BASF in Brasilien vertriebenen, aber auf EU-Ebene laut EU-Pesticides-Database nicht zugelassenen Wirkstoffe hat im Zeitraum von 2016 bis 2019 nicht ab-, sondern im Gegenteil zugenommen.

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Waren es im Jahr 2016 noch neun Wirkstoffe, die BASF in Brasilien verkaufte, die aber auf EU-Ebene laut der EU-Pesticides-Database keine Zulassung haben, so waren es 2019 bereits dreizehn Wirkstoffe. Dies entspräche einem Anstieg um 44,44 Prozent.
„Das Ziel von Agrarkonzernen wie Bayer ist immer dasselbe: Zuerst machen sie mit ihren Produkten Profite in den reichen Ländern“, sagt Alan Tygel von der brasilianischen Campanhe Permanente contra os Agrotóxicos e Pela Vida, der extra zur Jahreshauptversammlung von Bayer und BASF im April und Mai dieses Jahres nach Deutschland gereist war, um auf den Versammlungen die Vorstände der Konzerne direkt mit kritischen Nachfragen konfrontieren zu können. „Dann“, so führte Alan Tygel weiter aus, „wenn diese Länder die Produkte aufgrund ihrer hohen Toxizität verbieten, ziehen die Konzerne in ärmere Länder, wo die Unternehmenslobby einen stärkeren Einfluss auf die Aufsichtsbehörden hat“.
Es kommt aber noch schlimmer. Bayer besitze in Brasilien die Lizenz für 109 Agrargifte, die auf Basis von 50 verschiedenen Wirkstoffen produziert würden, warf Tygel dem Vorstand von Bayer vor. „Und von diesen sind 50% hochtoxisch oder sehr toxisch für die menschliche Gesundheit und 53% sind hochgefährlich oder sehr gefährlich für die Umwelt.“ Weiter wies Alan Tygel auf einen – statistischen Zufall? – hin: „Jedes Jahr werden Tausende von brasilianischen Bürgerinnen und Bürgern durch solche Agrargifte vergiftet. Die Zahl steigt Jahr für Jahr an: 2007 lag sie bei 2.726 Fällen, 2017 schon bei 7.200, ein Anstieg um 164%. Im gleichen Zeitraum stieg der Verkauf der aktiven Wirkstoffe in von Bayer verkauften Agrargiften von 205.000 auf 540.000 Tonnen, ebenfalls ein Anstieg um 164%. Handelt es sich dabei um einen mathematischen Zufall? Für die 2.185 Personen, die in Brasilien zwischen 2007 und 2017 an einer Vergiftung durch Agrargifte verstorben sind, muss man sagen, wenn es Bayer ist, dann ist es nicht gut.“
Warum konzentriert sich dieser Beitrag so auf Brasilien? Weil Brasilien im Zentrum des Wachstumsinteresses von Bayer steht. Bayers Vorstandsvorsitzender Werner Baumann sagte auf der Jahreshauptversammlung 2018, Bayers Interesse an der Übernahme von Monsanto läge im Saatgutbereich, und dort in dem Wachstum in diesem Sektor. Die Art von Saatgut, um die es dabei geht, ist meist gentechnisch verändert und das braucht die Agrargifte. Setzt man diese drei Variablen – gentechnisch verändertes Saatgut, Agrargifte und Wachstum – zusammen, so kommt weltweit nur ein gemeinsamer Nenner raus: Brasilien. Das ist die traurige Realität. Denn das Wachstum in den Bereichen gentechnisch veränderten Saatgutes und bei Agrargiften hat in den USA bereits seine Grenzen erreicht, die Klagen gegen Monsanto zeugen davon als beredtes Fanal. In Europa sind die Widerstände in der Bevölkerung mittlerweile zu groß, als dass hier Wachstum noch zu erwarten wäre. In Indien erklären sich nach Mizoram (2004) und Sikkim (2015) mehr und mehr Bundesstaaten „pestizidfrei“, auch China zeigt Besorgnisse über Pestizidverseuchungen. So bleibt also nur Brasilien.
Es sind alarmierende Meldungen aus Brasilien. Die neue brasilianische Regierung von Jair Bolsonaro hat bis Anfang Mai, also in unter fünf Monaten seiner Amtszeit – 197 Pestizide, darunter hochtoxische andernorts verbotene Agrargifte, freigegeben. Das hat System. Nicht ohne Grund ist mit Tereza Cristina, einer erklärten Lobbyistin in Sachen Agrargifte, die selbst in Brasiliens größter und renommiertester Tageszeitung den Beinamen „Muse des Giftes“ erhält,Landwirtschaftsministerin geworden. Wie ein bekannter Wissenschaftler des staatlichen Forschungsinstituts für Gesundheitsfragen FIOCRUZ es unlängst umschrieb: „Brasilien wird das Paradies der Agrargifte werden“.
Es steht zu befürchten, dass sich auch Firmen wie Bayer weiter, vielleicht gar in verstärktem Maße, am Verkauf und Vertrieb hochgiftiger Wirkstoffe in Brasilien beteiligen werden – und dass es dabei für Bayer als Frage des Überlebens angesichts der Milliardenkreditschweren Übernahme von Monsanto letztlich zu sehr um schieres Wachstum gehen wird.
Brasilien war bereits seit 2009 de facto so etwas wie die Pestizidhölle auf Erden, wenn man sich die nackten Zahlen anschaut. 2009 wurden in Brasilien erstmals eine Milliarde Liter an Agrargiften auf den Feldern ausgesprüht, ein Weltrekord. Wenn die insgesamt in Brasilien pro Jahr ausgebrachte Menge an Agrargiften auf die Bevölkerung heruntergerechnet wird, so kommt man auf die erschreckende Menge von 7,3 Litern je brasilianischer Bürger*innen. Dies ist aber „nur“ der Landesdurchschnitt. Brasilienweiter Spitzenreiter beim Versprühen von Agrargiften ist der zentralbrasilianische Bundesstaat Mato Grosso: In diesem wurden laut neuesten Berechnungen des staatlichen Instituts für Agrarsicherheit des Bundesstaats Mato Grosso (Indea) in den Jahren 2005 bis 2012 jährlich 13,3% (140 Millionen Liter) aller in Brasilien ausgebrachten Agrargifte versprüht.
Schauen wir uns eine dieser „Boom“-Gemeinden genauer an – Sapezal, im Bundesstaat Mato Grosso. Im Jahr 2012 wurden neun Millionen Liter Agrargifte allein im Munizip Sapezal zur Anwendung gebracht. Dies sind die letzten verfügbaren Daten des staatlichen Instituts für Agrarsicherheit des Bundesstaats Mato Grosso (Indea). Rechnet man die Menge an Agrargift auf ganz Brasilien runter, kommen wir auf die erwähnten 7,3 Liter je Person. In Sapezal aber liegt dieser Wert 52 Mal höher: 393 Liter je Person, wenn wir als Basis die Bevölkerungszahl von 2016 nehmen.
In einer Studie der Bundesuniversität von Mato Grosso wurden für zwei Regionen die Krebsfälle statistisch miteinander verglichen. Eine Region wurde landwirtschaftlich genutzt, die Vergleichsregion überwiegend touristisch. Die Studie stellte fest, dass es in 13 Munizipien (mit 644.746 Einwohner*innen laut letztem Zensus 2015), in denen zwischen 1992 und 2014 Soja, Mais und Baumwolle angebaut wurde, 1.442 Fälle von Magen-, Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsenkrebs gab. In den 13 Vergleichsmunizipien (219.801 Einwohner*innen laut letztem Zensus 2015), wo statt agrarwirtschaftlicher eine vorwiegend touristische Nutzung stattfand, lag die Zahl der Krebsfälle bei 53. Daraus errechnet sich in agrarwirtschaftlich genutzten Munizipien eine Krebsrate von 223,65 je 100.000 Einwohner*innen, in vorwiegend touristisch genutzten Munizipien ergibt sich eine Krebsrate von 24,11 je 100.000 Einwohner*innen. Da wo gesprüht wurde, was das Zeug hält, lag die Krebsrate also um den Faktor 8 höher. Leider war Bayer auf meine Frage auf der Hauptversammlung 2019 nicht bereit, die Zahlen der von Bayer in den Jahren 2016, 2017 und 2018 im Bundesstaat Mato Grosso verkauften Krebsmedikamente offenzulegen.

Ausgabe 159/2019