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Pantanal in Flammen

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Die Trockenlegung und Vernichtung von Feuchtgebieten ist nichts Neues in der jüngeren Menschheitsgeschichte. Neu ist, dass die Welt nun in Echtzeit dabei zusehen kann. Im Westen Brasilien haben illegal gelegte Brände bereits 30 Prozent des Pantanals, einem UNESCO-Schutzgebiet und Tierparadies ohnegleichen, in Rauch und Asche aufgehen lassen. Irreversible Folgen drohen.

Seit zehn Monaten brennt es wie noch nie in diesem zwischen Paraguay, Bolivien und Brasilien aufgeteilten, größten tropischen Feuchtgebiet der Erde. Das für die Umweltüberwachung per Satellit in Brasilien zuständige Weltraumforschungsinstitut INPE zählte bis zum 1. November bereits 21.200 Brandherde im Pantanal. Fast doppelt so viele wie 2005, dem bis dahin schlimmsten Feuerjahr in der Region. Die Flammen verschlangen dabei in diesem Jahr bereits eine Fläche von 4,1 Millionen Hektar, rund 30 Prozent des brasilianischen Pantanals von insgesamt etwa 150 Millionen Hektar, so die Zahlen des Labors für Umweltüberwachung der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (Lasa-UFRJ). Schon vor Wochen riefen die betroffenen Landesregierungen von Mata Grosso und Mato Grosso do Sul Katastrophenalarm aus. Doch weder die aus allen Landesteilen herbeigerufenen Feuerwehrleute noch das Militär und die freiwilligen Helfer konnten bislang die Brände unter Kontrolle halten. Doch was noch schlimmer ist: Inzwischen hat auch der Boden in Teilen des von jahreszeitlich bedingten Überschwemmungen abhängigen Pantanals Feuer gefangen. Die durch mangelnden Regen und zu niedrigen Wasserstände der Zuflüsse ausgetrockneten Torfschichten brennen wie Zunder. Diese sich unterirdisch weiter fressenden Feuer sind nur schwer zu löschen und setzen dabei große Mengen an Kohlendioxid (CO²) frei. Es reiche nicht, die sichtbaren Torfbrände zu löschen, erläutert einer der im Pantanal eingesetzten Feuerwehrmänner einem Fernsehteam. Das Feuer setze sich unterirdisch fort, bis es an einer anderen Stelle wieder die Oberfläche erreiche und dort die Vegetation in Brand setze. Es sei notwendig, den schwelenden Torf bis zur mineralischen Erdschicht abzutragen. Die für seine reichhaltige Tierwelt und hohe Jaguar-Population berühmte Pantanalebene erlebt eine der seit Jahrzehnten schlimmsten Dürren mit dem seit 47 Jahren niedrigsten Wasserstand seines Hauptzuflussess, dem Rio Paraguay: Die sich abspielende Naturtragödie im Westen Brasiliens ist dennoch hausgemacht. Vier sich gegenseitig verstärkende Veränderungen in der Region haben nach Meinung von Wissenschaftlern die diesjährige Katastrophe ausgelöst: Eine zunehmende, modernisierte Rinderzucht, die Ausbreitung des Sojaanbaus, Wasserkraftwerke und Staudämme an den Zuflüssen sowie veränderte Regenfälle durch den Klimawandel. „Alle Brände während der Trockenzeit wurden von Menschenhand gelegt“, sagt Bráulio Dias, Professor für Ökologie an der Universität von Brasília. Klimaforscher Carlos Nobre von der Universität von São Paulo sieht dies nicht anders. „Die Feuer sind alle menschlichen Ursprungs. Gelegt von Landwirten und Viehzüchtern.“ Tatsächlich ist das Pantanal seit Jahren einem staatlich geförderten Strukturwandel ohne Rücksicht auf die natürliche Vegetation ausgesetzt. „Die Veränderungen in der Rinderzucht im Pantanal sind die Hauptursache der Entwaldung der Region“, stellte im vergangenen Jahr Elton Antônio Silveira vom Umweltministerium in Mato Grosso fest. Seit mehr als 250 Jahren wird im Pantanal nachhaltige, extensive, die natürliche Vegetation nutzende Viehzucht betrieben. Dabei entstand aus der Kreuzung von 11 alten Rinderrassen aus Portugal und Spanien das robuste, an die tropische Überschwemmungslandschaft angepasste Pantaneiro-Rind. Doch diese Form der Fleischproduktion gilt nicht mehr als zeitgemäß. Heutige Rinderrassen brauchen künstliche, mit afrikanischen Gräsern angelegte Weiden, und die natürliche Vegetation muss weg!

Auch das Pantanal wird wirtschaftlich erschlossen

Eine neue Generation von Agraringenieuren sowie große Flächen aufkaufende Agrobusinessunternehmen übernehmen zunehmend traditionelle Rinderfarmen, fackeln die Naturflächen ab und ersetzen das Pantaneiro-Rind mit auf afrikanische Grasmonokulturen optimierten Zebu-Rindern der Rasse Nelore. Laut Forschungsnetzwerk MapBiomos nahm die Fläche der Rinderweiden im brasilianischen Pantanal seit 1985 von rund 660.000 Hektar auf über 2,3 Millionen Hektar im vergangenen Jahr zu. Eine weitere Ursache ist das Voranschreiten der Sojaplantagen, die inzwischen weite Gebiete am Rand des Pantanals übernommen haben. Von 2009 bis 2016 verdoppelte sich hier die Sojaanbaufläche von 300.000 auf rund 600.000 Hektar, so die Zahlen des Umweltinstituts SOS Pantanal, das die Soja-Expansion als die größte Bedrohung für das Feuchtgebiet ansieht. Der Sojaanbau - egal ob mit oder ohne genetisch veränderten Sorten - dränge nicht nur Rinderfarmer zur Abholzung neuer Flächen, sondern belaste auch die Gewässer mit Pestiziden und Kunstdünger. Einen weiteren negativen Einfluß auf das Pantanal hat die Abholzung des Cerrado durch Soja-Monokulturen auf dem zentralbrasilianischen Hochplateau, wo die Wasserquellen liegen. „Die Flüsse, die in das Pantanal münden, werden im Cerrado geboren“, erläutert der Geograf Marcos Reis Rosa. Durch Cerrado-Abholzung verliere der Boden seinen Schutz, was die Flüsse verschlammen und flacher werden lässt. Der dritte Schuldige im Bunde sind Staudämme und Wasserkraftnutzung, die dem Feuchtgebiet zunehmend den Wasserhahn zudrehen. Laut Wasserressourcenplan der hydrografischen Region Rio Paraguay sind bereits insgesamt 47 kleinere und größere Wasserkraftwerke im Wassereinzugsgebiet in Betrieb. Elf Kraftwerke sind in der Bauphase und weitere rund 120 Projekte drohen. Doch dies alles hängt letztlich vom Regen ab und dieser vom Amazonasregenwald, dessen Abholzung vor allem in Südamazonien bereits drastische Folgen zeigt. „Die verringerten Waldflächen im Süden Amazoniens lassen weniger Wasser verdunsten“, erläutert Klimaforscher Carlos Nobre. „In den trockenen Monaten, hauptsächlich im Juli, August und September, ist die Temperatur im Süden des Amazonas heute bis zu drei Grad wärmer als in den 1980er Jahren.“ Deshalb kommen aus Amazonien im Pantanal heißere und trockenere Luftströme an. Die extreme Dürre von heute werde, so Nobre, der „neue Normalzustand“ sein.

Klimawandel spürbar

Dabei scheint auch der globale Klimawandel ein Faktor zu sein. Eine Studie der Staatlichen Universität von Mato Grosso (Unemat) zeigt, dass das Wasservolumen des Rio Paraguai Jahr für Jahr mehr und mehr abnimmt. Was nach Meinung des Studienleiters Ernandes Oliveira Júnior eine Folge der globalen Erwärmung ist. Bereits 2015 warnte der Geograph Aguinaldo Silva der Staatlichen Universität von Mato Grosso do Sul (UFMS) in Corumbá vor dem Klimawandel und seinen möglicherweise katastrophalen Folgen für das Pantanal. Sein internationales Forscherteam untersucht seit Jahren die Umweltveränderungen in dem Feuchtgebiet. „Wir können mit einiger Zuversicht sagen“, so Aguinaldo Silva, „dass sich das globale Klima verändert und die Temperaturen wärmer werden. Dies kann dramatische Folgen für den Wasserkreislauf des Pantanals haben und die jährlichen Hochwasser des Rio Paraguay verändern.“ Schließlich schwebt noch ein weiteres Damoklesschwert über der Region. Die Fortsetzung des Ausbaus des Rio Paraguay, der „Schlagader“ des Pantanals, zur Wasserstraße, um den Abtransport der Soja-Ernte durch große Frachtschiffe zu ermöglichen. Die geplanten Flussbegradigungen und das Ausbaggern des Flussbettes werden laut Umweltexperten, den Wasserabfluss beschleunigen und damit die für das Feuchtgebiet überlebenswichtigen jahreszeitlichen Überschwemmungen nachteilig beeinflussen, sprich das Pantanal weiter trocken legen. Wird dieser einseitig auf Fleisch- und Soja-Exporte ausgerichteten Entwicklung kein Einhalt geboten, droht die Welt eines ihrer größten und wichtigsten Feuchtgebiete zu verlieren. Norbert Suchanek lebt und arbeitet als Journalist in Rio de Janeiro.

Ausgabe 162/2020