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Regenwald in Gefahr - Das neue Waldgesetz erleichtert Abholzungen in Amazonien

Peter von Wogau

Im April 2012 wurde von der Abgeordnetenkammer in Brasília ein neues Waldgesetz verabschiedet, das die in den letzten Jahren erreichten relativen Fortschritte bei der Reduzierung der Waldverluste zunichte zu machen droht. Ende Mai brachte Präsidentin Dilma Rousseff ein partielles Veto ein. Das weitere Schicksal Amazoniens steht also nach wie vor auf dem Spiel.

Dieses Veto für einen Teil der Veränderungen kam noch im letzten Moment. So konnte Brasilien sein Gesicht für die Rio+20-Konferenz wahren. Gut für die Imagepflege war auch die kurz vor der Konferenz verbreitete Information des Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (INPE), dass im Jahre 2011 nur 6.418 km² Wald im Einzugsgebiet des Amazonas abgeholzt wurden. Dies ist die geringste Rate seit der Einführung der Satellitenüberwachung im Jahre 1988. Von 1988 bis 2011 fielen insgesamt 392.201 km² der Rodung zum Opfer - eine Fläche, die größer als Deutschland ist. Von 2002 bis 2004 wurde noch jährlich über 20.000 km² Wald abgeholzt. Seit 2009 lagen die Raten unter 9.000 km². Diese Fortschritte droht nun das neue Waldgesetz zunichte zu machen. In Erwartung einer Amnestie hat daher bereits nach Informationen des INPE in den ersten Monaten dieses Jahres die Abholzung drastisch zugenommen.
Bisher galt das Waldgesetz (Código Forestal) als Kernstück einer weitgehend umweltfreundlichen Umweltgesetzgebung. Bereits kurz nach der letzten positiven Veränderung des Código Florestal 1996 versuchte die Agrarlobby in verschiedenen parlamentarischen Anläufen, das Waldgesetz wieder zu ihren Gunsten zu verändern und die geschützten Flächen zu verringern. Im Dezember 2011 wurde ein solches Gesetz vom Senat und im April 2012 von der Abgeordnetenkammer verabschiedet.
Um zu verstehen, worum es sich handelt, sei kurz die in seiner ersten Fassung von 1934 stammende Gesetzgebung dargestellt, aus der 1965 eines der weltweit fortschrittlichsten Waldgesetze entstand, das 1996 zuletzt verändert wurde und sehr weitgehende Schutzzonen definierte. Der Código Forestal reguliert die Art, in der Land genutzt werden kann. Er legt fest, wo die ursprüngliche Vegetation erhalten werden soll und wo es verschiedene Arten landwirtschaftlicher Produktion geben kann. Bisher war geregelt, dass in jedem Landbesitz eine gesetzliche Reserve (Reserva Legal) zu existieren hat: Dieses Land darf daher nicht gerodet werden. Das waren bisher 20% des Landbesitzes, allerdings mit der Ausnahme von Amazonien (Amazônia Legal, bestehend aus den Bundesländern Acre, Amapá, Amazonas, Mato Grosso, Pará, Rondônia, Roraima, Tocantins und Maranhão westlich des 44. Breitengrades), wo die Reserve 80% in Waldgebieten und 35% in den tropischen Savannen umfasst. Das neue Waldgesetz erlaubt nun in Amazonien die gesetzliche Reserve wie vor 1996 auf 50% der Fläche zu reduzieren, wenn ein Bundesstaat mehr als 65% der geschützten Fläche besitzt und zudem ein entsprechendes Landesgesetz eine solche Reduzierung zulässt.
Daneben gibt es dauerhaft geschützte Flächen (Áreas de proteção permananente, APP), wie Flussufer, Berggipfel, Quellen und Abhänge, um Erosion, Erdrutsche und Zerstörung von Quellen und Ähnliches zu vermeiden. Der Regenwald an den Flussufern stand bisher bis zu einer Breite von 30 Metern unter gesetzlichem Schutz, nach Rodungen musste diese Fläche erneut aufgeforstet werden. Das neue Gesetz legt dagegen fest, dass bei bis zu 10 m breiten Flüssen die Ufervegetation bis mindestens 15 m unverändert bleiben bzw. wiederhergestellt werden muss. Die Behandlung von größeren Flüssen wurde nicht geregelt. Der sog. kleinbäuerliche Landbesitz erhielt eine speziell Behandlung: Die wieder aufzuforstenden Flächen brauchen lediglich dem Prozentsatz der legalen Reserve zu entsprechen. Mehr muss nicht wiederhergestellt werden.
Das bisher gültige Waldgesetz bestimmt, dass jeder illegal abholzende Landbesitzer eine Strafe zu zahlen hat und außerdem das Gebiet wieder aufforsten muss. Das neue Gesetz sieht eine Amnestie für die Leute, die illegal abholzten, hinsichtlich der Strafzahlungen vor, falls sie in einer Übergangszeit von fünf Jahren wieder aufforsten. Und die vor 2008 gerodeten Flächen brauchen überhaupt nicht wieder aufgeforstet werden. Wenn also das jeweilige Bundesland ein entsprechendes Gesetz zur Reduzierung der Schutzzonen auf 50 % der Fläche des Landbesitzes erlässt, werden die Eigentümer endgültig amnestiert. Das neue Waldgesetz ist also in erster Linie Ausdruck der Interessen der mächtigen brasilianischen Agrarlobby, gesteht es doch Großgrundbesitzern und Vertretern der Viehwirtschaft weitreichende Zugeständnisse zu. Das neue Gesetz sieht z.B. vor, dass die Abholzer straffrei bleiben, falls sie sich zur Aufforstung innerhalb eines längeren Zeitraums selbst verpflichten. Nur wenn sie innerhalb dieser Zeit nicht aufforsten, müssen sie die Strafe zahlen.

Mögliche Folgen dieses Gesetzes sind eine Ausweitung der legalen Abholzung bis zu 765.000 km² und damit verbunden die zusätzliche Freisetzung von bis zu 28 Mrd. Tonnen CO2 – Emissionen. Durch die Amnestie für illegale Rodungen könnten dem Staat Einnahmen von über 3 Mrd. € entgehen. Außerdem würde sie zu weiteren illegalen Rodungen ermuntern. Großgrundbesitzer könnten z.B. ihr Land in kleinere Einheiten aufteilen und so teilweise die Regelung einer Wiederaufforstung umgehen.
Nur durch ein Veto der Präsidentin konnte das Inkrafttreten des Gesetzes verhindert werden. Dilma Rousseff sprach Ende Mai 2012 ein Veto gegen zwölf Artikel und Änderungen in 32 Punkten aus. Hierbei handelt es sich vor allem um die vorgesehene Amnestie für illegale Abholzungen und die Maßnahmen, die zu einer Zunahme der Rodungen führen könnten.  Umweltschützer forderten ein Veto für die gesamte Gesetzesänderung und reichten noch kurz vor der Entscheidung zum Teilveto eine entsprechende Liste mit zwei Millionen Unterschriften ein. Nach ihrer Meinung reicht ein Teilveto nicht aus, um die weitergehende Abholzung des Regenwaldes zu stoppen. Das Veto der Präsidentin bezieht sich u.a. auf die vorher von ihr bereits angekündigte nachträgliche Legalisierung des illegalen Abholzens des Urwaldes bis 2008 und daneben auf die Reduzierung der Schutzgebiete an Flüssen.
Zu kritisieren ist u.a. die Länge der Übergangszeit von fünf Jahren, die den Abholzern geblieben ist, in denen die entwaldeten Flächen wieder aufgeforstet werden müssen, und die Option, dass die Aufforstung auch aus anderen Bäumen bestehen kann, die wie z.B. der Eukalyptus nicht dem Ökosystem von Amazonien entsprechen. Die Präsidentin begründete ihr nur partielles Veto mit dem nicht unmittelbar einleuchtenden Ruf nach „gesundem Menschenverstand“.
So stellt sich weiterhin die Frage, was sie wohl unter nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung verstehen könnte. Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Beteuerungen sind durchaus angebracht, da sie bereits als Energie- und Kabinettsministerin in der Regierung Lula heftige Auseinandersetzungen mit der Umweltministerin Marina Silva hatte, die dann 2009 im Protest aus der Regierung und später aus der PT austrat, und zwar mit der Begründung, dass Rousseff schnelles Wirtschaftswachstum zu Lasten einer nachhaltigen Entwicklung vorantreibe. Diese scheint wirklich den wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsaspekten Priorität zu geben, allerdings auch nicht immer: Als Kabinettsministerin und Leiterin der brasilianischen Delegation kündigte sie Ende 2009 beim Kopenhagener Klimagipfel hochgesteckte Ziele zum Schutz des Regenwaldes an: Damals gab sie an, dass der Treibhausgasausstoß bis zum Jahre 2020 um 36 – 39%  gesenkt werden soll. Da etwa 70% der Emissionen in Brasilien durch Rodungen bewirkt werden, bedeutet dieses Ziel den Anspruch auf einen weiterhin wirksamen Rückgang der Waldabholzung. Dagegen treibt sie als Staatspräsidentin den Bau einer Reihe von Wasserkraftwerken in der Amazonasregion voran, deren spektakulärstes und bekanntestes, Belo Monte, jetzt auch gegen massiven Protest, gerade auch vom Ausland, gebaut wird. Dabei zeigt sich, dass Rousseffs Präsidentschaft nach einem Jahr und drei Monaten Zustimmungsraten von 64% erreicht. Das ist wesentlich höher als bei ihren beiden Vorgängern Lula und Fernando Henrique Cardoso, die nur auf 38% bzw. 30% der Wähler kamen. Diese Zustimmungsraten belegen eindrucksvoll, welche nachrangige Rolle die Umweltproblematik in Brasilien einnimmt.
Durch ihr jetziges Teilveto, das von den Umweltschützern heftig kritisiert und von der Agrarlobby sehr milde aufgenommen wurde, wird deutlich, dass Rousseff im Hinblick auf das Waldgesetz zu einem Kompromiss mit den Agrariern bereit ist. Agrarminister Ribeiro Filho betonte denn auch, Brasilien verliere durch die von der Präsidentin eingebrachten Vetos und Veränderungen nichts an seiner Leistungsfähigkeit als Nahrungsmittelproduzent. So wird das im Laufe des Jahres dann wohl in Kraft tretende Gesetz mit aller Wahrscheinlichkeit einen Rückschritt für den Schutz Amazoniens bedeuten.