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Rio São Francisco, größter Fluss Nordostbrasiliens

Rio São Francisco: Der größte Fluss Nordostbrasiliens wird angezapft Seit Jahren hält die brasilianische Regierung trotz massiver Proteste der Bevölkerung und vehementer Kritik von Fachleuten an einem gigantischen Infrastruktur-Vorhaben fest: der Anzapfung Rio São Francisco im Nordosten des Landes.

Mit diesem stark umstrittenen Projekt sollen Teile des Flusswassers über Hunderte von Kilometern abgeleitet werden. Dieser Regierungsplan bringt schwere politische, ökonomische und regionale Interessenkonflikte zum Vorschein. Der offizielle Diskurs stellt das Projekt als Lösung für die Probleme der Wasserversorgung im semiariden Nordosten Brasiliens dar. Entgegen der Regierungspropaganda wird es jedoch nur einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung dieser Trockenregion zu Gute kommen. Die im Hinterland verstreute Bevölkerung, die am stärksten vom Wassermangel betroffen ist, wird kaum von dem Mega-Projekt profitieren. Hauptnutznießer des immensen Investitionsvorhabens - die geschätzten Baukosten belaufen sich auf mindestens 2,4 Milliarden € - werden Bewässerungsprojekte der Exportlandwirtschaft und Großbetriebe der Krabbenzucht sein.
Seit Anfang diesen Jahres ist die teilweise Umleitung des Rio São Francisco, die Transposição, nach etlichen Monaten der Ruhe, wieder an die Spitze der politischen Agenda gerückt. Die Idee zu diesem Megaprojekt wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts geboren, die konkreten Baumaßnahmen wurden dagegen erst während der Zeit der Militärdiktatur (1964-85) geplant.
Die Interessen der ursprünglichen Bevölkerung des Stromtals, die mit ihren traditionellen Nutzungsformen vom Fluss abhängen, werden bei der Planung und Genehmigung des Projektes völlig ignoriert. In dem betroffenen Gebiet leben insgesamt 34 indigene Gruppen, für die der Rio São Francisco die zentrale Lebensgrundlage bedeutet.

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Bedrohte Lebensader


Der Rio São Francisco gehört zu den wichtigsten Flüssen Brasiliens. Auf einer Länge von 2.700 Kilometern fließt er vor zunächst durch die Bundesstaaten Minas Gerais und Bahia, an seinem Unterlauf durchquert er Pernambuco, Sergipe und Alagoas. Sein gesamtes Wassereinzugsgebiet, zum Großteil durch semiarides Klima geprägt, umfasst eine Fläche von 631.000 km² (das entspricht mehr als 1,7 mal der Fläche Deutschlands). In dieser Trockenregion leben insgesamt 12,8 Millionen Menschen, für die der Fluss die zentrale Lebensader ist.
Die durchschnittliche Wassermenge des Rio São Francisco ist seit Jahrzehnten rückläufig. Dies wird durch verschiedene Faktoren bedingt. So führt unkontrolliertes Abholzen der Wälder  in Minas Gerais und Bahia - vor allen in den Quellgebieten der Zuflüsse - zu einer Störung des Wasserhaushaltes. Allein im Norden von Minas Gerais sind bereits 300 Quellflüsse trocken gefallen. Der massive Rohdungsprozess im Einzugsgebiet des Rio São Francisco hängt mit einer Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung vor allem in Ost-Bahia zusammen. Im Bereich des Cerrado expandiert in den letzten Jahrzehnten die industrielle Landwirtschaft, die cash crops wie Soja, Mais und Baumwolle für den Export produziert. Die großflächigen Waldrodungen führen zu Erosion, Versandungen der Fließgewässer und Absenkung des Grundwasserspiegels. Ein weiterer Entwicklungspol der weltmarktorientierten Agrarindustrie hat sich im unteren Mittellauf, in der Region von Juazeiro und Petrolina herausgebildet. Dort produzieren Agrarunternehmen in riesigen künstlich bewässerten Anlagen Zuckerrohr, Trauben, Tomaten, Mangos, Melonen etc. vor allem für den Export nach Europa. Die brasilianischen Mango-Exporte stammen beispielsweise zu ca. 95% aus der São Francisco-Region. Der gegenwärtig stark von der brasilianischen Regierung vorangetriebene Boom der Bio-Brennstoffe (Biodiesel und Ethanol aus Zuckerrohr) heizt die rasante Expansion der Monokulturen wie Zuckerrohr, Rizinus und Sonnenblumen in der Region noch zusätzlich an. Das exportorientierte Agro-Business boomt, während für die arme Landbevölkerung der Region Trinkwassermangel und Unterernährung an der Tagesordnung sind.
Ein weiterer Faktor für die massive Abholzung am Mittellauf des São Francisco ist die Herstellung von Holzkohle. Die Nachfrage nach diesem Brennstoff ist enorm, da sie in der Montanregion von Minas Gerais für die Stahlproduktion verwendet wird. Im Durchschnitt verlassen im Südwesten von Bahia täglich bis zu 200 mit Kohle beladene Lastwagen die Region in Richtung Minas Gerais. Zur Bereitstellung der jährlich benötigten sechs Millionen Tonnen Holzkohle müssen 300.000 Hektar Wald verkohlt werden. Die menschenunwürdige Arbeit in den illegalen Köhlereien ist in vielen Teilen des São Francisco Gebietes zu einer Einnahmequelle für die arme Landbevölkerung geworden. In der Region des Oberlaufs ist die natürliche Vegetation aufgrund der Nähe zu den Stahlindustriegebieten bereits weitgehend vernichtet und
durch Eukalyptusplantagen ersetzt worden. Der starke Wasserbedarf dieser Plantagen wirkt sich zusätzlich negativ auf den Wasserhaushalt in den Quellregionen des São Francisco aus.
Die Industrieregion am Oberlauf trägt darüber hinaus durch die Einleitung von industriellen Abwässern wesentlich zur Degradierung des Fluss-Ökosystems bei. Dazu kommen die häuslichen Abwässer, die in den meisten Fluss-Städten ungeklärt in den São Francisco geleitet wird (lediglich 78 der 504 Gemeinden im Einzugsgebiet des Flusses verfügen über ein Abwassersystem). Am stärksten schlägt dabei die Großregion um Belo Horizonte (3,9 Millionen Einwohner) zu Buche, deren Abwässer über einen Zufluss direkt in den Rio São Francisco geleitet werden.
Zu den mächtigsten Interessen der Flussnutzung gehört die Stromerzeugungsindustrie. Insgesamt siebzehn Staudämme haben das ursprüngliche Wassersystem und das Flusstal völlig verändert. Dazu zählt insbesondere der während der Militärdiktatur realisierte Sobradinho-Damm, der einen ca. 400 km langen Stausee und die Zwangsumsiedlung von 70.000 Menschen zur Folge hatte. Diese Wasserkraftwerke decken insgesamt 98% des Strombedarf des Nordostens. Neben den immensen sozialen Folgen der Staudämme wirken diese sich langfristig verheerend auch auf die Fischpopulationen aus. Die Ergiebigkeit der Fischerei am Mittel- und Unterlauf des Flusses sank um 90% seit dem Bau der Stauseen in den 1960er Jahren. Fischer vom indigenen Volk der Truká berichten vom Verlust von mehr als 30 Fischarten als Folge der Dammbauten von Itaparica und Sobradinho. Nun verschwindet mit der Umleitung auch noch die Insel Assunção, das Znetrum des Siedlungsgebietes der Truká,

Das Umleitungsprojekt


{mosimage}Das monströse Infrastruktur-Projekt, das in der offiziellen Diktion als „Integration der Wassereinzugsgebiete“ bezeichnet wird, bedeutet besonders den Bau von zwei Kanälen von 400 km bzw. 220 km Länge, die das Flusswassers in nördlich gelegene temporären Flüsse leiten sollen. Damit dies möglich ist, müssen durch Pumpen erhebliche Höhenunterschiede überwunden werden, beim Nordkanal 165, beim Ostkanal 364 Höhenmeter.
Wird die Umleitung bzw. Abzweigung von Teilen des Flusswassers genehmigt, sollen 70% des
herbeitransportierten Wassers zu Bewässerungszwecken dienen, 26% fließen in die Städte (hauptsächlich Fortaleza), und 4% bleiben für die diffus über den Landstrich verteilt Lebenden – die eigentlich Bedürftigen. Hauptabnehmer und Profiteur wird der exportorientierte industrielle Agrarsektor (vor allem Obstplantagen und Krabbenzucht) sein. Die Probleme der Wasserversorgung in der Region und die daraus resultierende Misere der Landbevölkerung werden dabei geschickt instrumentalisiert, um Akzeptanz für die milliardenschweren Investitionen zu schaffen. Doch die internationalen Geldgeber haben sich bisher nicht von dieser Strategie überzeugen lassen. Eine Weltbank-Studie sprach sich gegen eine Kreditvergabe für das Projekt aus, da die positiven Effekte für die Armutsbekämpfung nicht belegt sind.
Widerstand der Betroffenen
Die spektakulärste Maßnahme, um gegen die Transposição zu protestieren, war der elftägige Hungerstreik des Bischofs von Barra, Dom Luiz Cappio, der im Oktober 2005 weltweit für Aufsehen sorgte. In der Folge, als Bedingung für die Beendigung des Hungerstreiks, wurde ein Dialog der Vertreter der Zivilgesellschaft mit der Regierung eingeleitet, der bis dato jedoch nicht über ein einmaliges Seminar im Mai 2006 hinausging. Von juristischer Seite konnte Anfang 2006 erfolgreich Einspruch gegen das Vorhaben erhoben und der Genehmigungsprozess durch gerichtliche Erlasse gestoppt werden.
Der Kampf gegen die Transposição eint unterschiedlichste soziale Gruppen: Fischer, Quilombolas², Kleinbauern, indigene Gruppen und verschiedenste Menschenrechts- und Umwelt-NGOs.
² Nachfahren von Sklaven, deren Vorfahren zu Zeiten der Sklaverei von Zuckerrohrplantagen geflüchtet waren und in abgelegenen Gebieten Gemeinschaften gebildet hatten. Diese noch heute bestehenden Gemeinschaften genießen besonderen rechtlichen Schutz.

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Aktuelle Entscheidungen und Entwicklungen rufen neue Proteste hervor


Zum Jahresende 2006 heizte sich die öffentliche Debatte um die Flussumleitung aufgrund einer Gerichtsentscheidung zu den Einspruchsverfahren wieder auf: Am 19. Dezember 2006 – strategisch unmittelbar vor den Weihnachtsferien – hob der Richter des Obersten Bundesgerichtshofes, Sepúlveda Pertence, alle rechtlichen Erlasse wieder auf, die seit Anfang 2006 die Fortführung des Projektes der Umleitung des Rio São Francisco verhinderten. Diese oberrichterliche Entscheidung ermöglicht nun die offizielle Ausschreibung des Megaprojektes und die Fortführung des Genehmigungsverfahrens der staatlichen Umweltschutzbehörde (IBAMA). Der Beginn der Bauarbeiten an den Ableitungskanälen ist sogar schon vor Ende des Ausschreibungsverfahrens möglich, da dafür das Militär eingesetzt werden soll.
Die Proteste entzündeten sich vor allem an der Argumentation des Obersten Richters: die erste Genehmigungsstufe des Vorhabens stelle an sich keine Gefahr für die Umwelt dar, und etwaige diesbezügliche Mängel könne man im Verlauf der weiteren Projektetappen beheben. Die Entscheidung des Richters vernachlässigt damit die schwerwiegenden Verfahrensfehler der bisherigen Umweltverträglichkeitsprüfung. Sie ignoriert die Belange und Rechte der Flussanrainer, allen voran der indigenen Gruppen, sowie die biotischen und abiotischen Umweltauswirkungen des Vorhabens auf das gesamte Wassereinzugsgebiet. Zudem wurde im bisherigen Genehmigungsverfahren das Recht auf öffentliche Anhörungen missachtet. Der Oberste Richter erklärte alle zivilgesellschaftlichen Gruppen als nicht legitimiert, sich in dem laufenden Verfahren zu äußern.
Das „Permanente Forum der Verteidigung des Flusses São Francisco“ (Fórum Permanente de Defesa do Rio São Francisco), ein Zusammenschluss unterschiedlichster NGOs, die sich gegen das gigantische Bauvorhaben wehren, führte Anfang 2007 Protestveranstaltungen in Salvador durchgeführt.
Im März 2007 beteiligten sich mehr als 600 Vertreter von Bürgerorganisationen an einem einwöchigen Protest-Camp in der Hauptstadt Brasília. Die Demonstration stand unter dem Motto „Für das Leben des Rio São Francisco und der Nordost-Region, gegen die Ableitung des Wassers des Rio São Francisco“. Die mehrtägige Protest-Aktion sollte landesweit und auch die Vertreter von Exekutive, Legislative und Judikative auf die Problematik des Rio São Francisco hinweisen. Höhepunkte waren zwei große Protestmärsche zum „Platz der drei Gewalten“, die brasilienweit ein großes Medienecho hervorriefen.
Jedoch wurde bereits während der verschiedenen Anhörungen (Senat, Bundesstaatsanwaltschaft, Nationalkongress, Abgeordnetenkammer, Umweltministerin) bekannt, dass die öffentliche Ausschreibung des Projektes für die Auftragsvergabe der Baumassnahmen erfolgte. Am 23. März 2007 schließlich erteilte die Bundesumweltbehörde IBAMA die Baugenehmigung.
Im April konnten in der Nähe von Petrolandia (Beginn des Ostkanals) Militärs beobachtet werden, die den Baubeginn vorbereiteten, indem sie Häuser für die Soldaten mieteten. Im Mai schließlich unterschrieb der zuständige Minister den Arbeitsauftrag für das Militär, und somit ist der Baubeginn auf Mitte Juni 2007 festgesetzt. Da für das Militär eine Sonderregelung gilt, ist dies rechtlich schon vor der Beendi¬gung aller Genehmigungsverfahren möglich.
Das Ausschreibungsverfahren für die Baufirmen endete am 9. Mai, sodass die Bauarbeiten an den Kanälen im September 2007 beginnen könnten.

 

Wie geht es weiter?


Die Regierung treibt derzeit ohne Rücksicht auf Verluste ihr „Programm zur Beschleunigung des Wachstums“ PAC voran, zu dem mehrere Staudämme in Amazonien und auch die Transposição gehören. An Bundesmitteln sind in diesem Programm insgesamt 6,6 Milliarden Reais (2,4 Milliarden €) für dieses Projekt vorgesehen, davon für 2007 455 Millionen Reais (168,5 Millionen €).  In den letzten Wochen wird auch systematisch das Umweltministerium und die IBAMA (Art Umweltbundesamt, zuständig für die Umweltgenehmigungen der Bauvorhaben) demontiert und durch Umstrukturierungen entmachtet, da die langsamen Genehmigungsver¬fahren die umstrittenen Bauvorhaben des PAC behindern. Die Argumentation „Umweltauflagen und -gutachten behindern das Wachstum“ ist der Tenor der Regierung.
Von Seiten der sozialen Bewegungen gab es auch in den letzten Wochen zahlreiche Protest¬aktionen, unter anderem Besetzungen der Büros der CODEVASF (staatliches Organ für die Entwicklung des São Francisco- und Parnaibaflussbeckens, das direkt dem Ministerium der Integration unterstellt ist und für die Abwicklung der Transposição zuständig ist) in Bom Jesus da Lapa, Juazeiro, Petrolina und Barreiras durch die Landlosenbewegungen CETA und MST sowie Demonstrationen in verschiedenen Städten.
Da nach Presseaussagen der Regierung der Baubeginn unmittelbar bevorsteht, planen die sozialen Bewegungen, Basisgruppen und die betroffenen indigenen Gemeinschaften nun die konkreten Protestaktionen am Bauplatz, sozusagen am Bauzaun. Weiter sind noch Aktionen geplant, die bei internationalen Gremien auf die Missachtung der indigenen Rechte aufmerksam machen sollen.
Alle Hoffnung der Gegnerinnen und Gegner des Projekts liegen nun auf der noch ausstehenden Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes zu den Einspruchsverfahren. Nach wie vor fehlt die entgültige Entscheidung hinsichtlich der laufenden 11 Ein¬spruchsverfahren. Allerdings ist nicht absehbar wie lange diese Verfahren noch dauern werden.
Derzeit beraten sich die Vertreter der sozialen Bewegungen über die Strategien zur Fortführung der Protestaktivitäten. In den Medien ist die öffentliche Debatte um das Projekt ist in vollem Gange.

Die CPT Bahia (Comissão Pastoral da Terra) unterstützt betroffenen Bevölkerungsgruppen darin, ihre Bürgerrechte einzufordern und hilft, Protestaktionen zu organisieren. Dafür ist sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen.


Konto der Brasilieninitiative Freiburg e.V.: Volksbank Freiburg BLZ 680 900 00, Konto 250 548 06 Kennwort: São Francisco.


Salvador, Andrea Zellhuber (CPT Bahia/Sergipe)
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bearbeitet und aktualisiert: Anne Reyers BN 136/2007