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Sojawahn und Schnitzelkonsum

Christian Russau

Was haben Wasserstraßen am Rio Tapajós in Amazonien mit dem Schweineschnitzel auf unserem Teller zu tun? Warum setzen sich die indigenen Munduruku aus Amazonien so gegen die Staudammpläne der brasilianischen Regierung zur Wehr? Dieser Text spannt den Bogen von den Wäldern und Flüssen Amazoniens bis in Deutschlands Schweinemastanlagen, die zusammenhängenden Entwicklungen in einer vielfältigen, globalisierten Welt werden ebenso aufgezeigt wie die enormen sozialen und Umweltfolgen.

Amazonien stand und steht im Fokus der Errichtung von Wasserkraftwerken und Staudämmen. Laut staatlichen Berechnungen hat Brasilien ein Gesamtpotenzial an Wasserkraft in Höhe von 260 GW, von denen 40,5% allein in Amazonien liegen. Nach Inbetriebnahme im Mai 2016 und der bis 2019 schrittweise erfolgenden Fertigstellung des Staudamms Belo Monte am Rio Xingu soll nun nach Vorstellungen aus Brasília die westlicher gelegene Region von Pará, das Tapajós-Flussbecken, in Angriff genommen werden. Im Visier für Wasserkraft stehen dabei der Rio Tapajós, die Flüsse Teles Pires und Juruena, aus deren Zusammenfluss sich der Tapajós bildet, sowie all deren kleinere Zuflüsse. Für das Tapajós-Becken sind insgesamt 43 große Staudämme sowie vor allem am Rio Juruena über 70 kleine Wasserkraftwerke (unter 30 MW) geplant.
Von den 43 Großstaudämmen befinden sich drei im Rio Tapajós, vier an dessen direktem Zufluss Jamanxim (beide im Bundestaat Pará) und im südlicheren, flussaufwärts gelegenen Bundesstaat Mato Grosso am Rio  Teles Pires sechs sowie am Rio Juruena 30 geplante Staudämme mit einer Kapazität größer als 30 MW zuzüglich der dort geplanten über 70 kleinen Wasserkraftwerke.

Leben am Rio Tapajós

Das indigene Volk der Munduruku lebt entlang des rund 500 Kilometer langen Flussbeckens des Rio Tapajós und seiner zwei größten Zuflüsse, Juruena und Teles Pires. Ihr Territorium unterteilt sich in drei Gebiete: Bei Santarém liegt das Gebiet Baixo Tapajós (Unterer Tapajós), bei Itaituba das des Médio Tapajós (Mittlerer Tapajós) und ab Jacareacanga flussaufwärts das des Alto Tapajós (Oberer Tapajós). Das gesamte von den Munduruku selbst als „Mundurukania“ titulierte Gebiet ist eines der reichsten an Biodiversität in ganz Brasilien.
Der größte und bedeutsamste der für diese Region geplanten Staudämme ist der Damm São Luiz do Tapajós mit über 8 GW an Kapazität. Mit geplanten Kosten von bis zu umgerechnet zehn Milliarden Euro wäre der Damm am Tapajós fast ebenso teuer wie der Belo-Monte-Staudamm am Rio Xingu. Zwischen 2011 und 2016 wurde die Planung des Dammes São Luiz do Tapajós von der Regierung in Brasília massiv vorangetrieben.
Doch es gab Widerstand. „Die Regierung und die FUNAI sind nie hierhergekommen, um über Demarkation, Gesundheit, Bildung zu reden. Sie kommen hier nur her, um über Staudämme zu reden.“, sagte 2011 Floriano Munduruku, in seiner Aussage gegenüber der Bundesstaatsanwaltschaft in Pará. Dieses Verhalten machte die Munduruku so wütend, dass sie mehrmals von Brasília entsandte Anthropologen, Biologen und Feldvermesser festsetzten und nur gegen die Zusage, die Staudammpläne ad acta zu legen, wieder freiließen. Doch die Pläne gingen immer weiter. „Für uns indigene Völker gibt es keine Kompensation, um uns für den Verlust unserer Kultur und unserer traditionell indigenen Lebensweise zu entschädigen. Die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder steht auf dem Spiel“, erklärten 2016 die indigenen Völker der Xerente, Apinajé, Krahô, Kayabi und Juruna in einer gemeinsam Erklärung.
Den Munduruku war schon früh klar, dass angesichts des mehrmaligen Wortbruchs der Politik nicht zu trauen ist. So nahmen sie stattdessen die Dinge lieber selbst in die Hand.
Die Munduruku fingen an mit der Selbstdemarkation der „Sawré Muybu“ als Indianergebiet. Sie selbst wollten mit den Erhebungen und Sondierungen beginnen, welche Gruppe der mehr als 10.000 Munduruku traditionell wo in der Tapajós-Region welche Gebiete wie nutzt, um mit diesen Daten ihr indigenes Territorium selbst zu demarkieren. In einer Stellungnahme heißt es:
„Wir, das Volk der Munduruku, lernen von unseren Vorfahren, dass wir stark wie der Jaguar sein müssen, dass unsere Wort wie der Fluss sein muss, der immer in die gleiche Richtung fließt. Was wir versprechen, ist mehr wert als jedes geschriebene Papier. So leben wir seit Jahrhunderten in diesem Land. Die brasilianische Regierung agiert wie die Riesenanakonda, die langsam zudrückt, damit wir keine Kraft mehr haben und ersticken. Es wird versprochen, wird gelogen, wird getäuscht. Die Regierung will die Demarkation nicht, da diese die Wasserkraftwerke São Luiz do Tapajós und Jatobá stoppen würde, die sie in unserem Fluss bauen will. Da die Regierung die Demarkation nicht machen will, haben wir beschlossen, dass wir es selbst tun. Wir haben die Selbstdemarkation begonnen und wir werden erst aufhören, wenn unsere Arbeit erledigt ist.“
Aufgrund massiven öffentlichen Drucks seitens der Zivilgesellschaft verlangte im April 2015 die Umweltbehörde IBAMA die Überarbeitung der Umweltverträglichkeitsprüfungen für den Staudamm São Luiz do Tapajós, ein schwerer Schlag für die Staudammbefürworter. Und während im Jahr 2016 am Tapajós die Flussanwohner, Kleinbauern und Munduruku zwischen Itaituba und Jacareacanga Unterstützung durch die Fastenaktion von Misereor fanden, die auf die Situation der Menschen aufmerksam machte und die die Wahrung ihrer Rechte in einer Petition, die von über 50.000 Menschen unterschrieben wurde, einforderte, halfen internationale Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace den Munduruku bei der Selbstdemarkation der „Sawré Muybu“ als Indianergebiet. Die offiziellen Schilder zur Außenkennzeichnung Indigener Territorien wurden nachgebaut und öffentlichkeitswirksam an den Außengrenzen von „Sawré Muybu“ aufgehängt. Diese Bilder gingen einmal mehr um die Welt. Und dann kam es 2016 zur Überraschung vieler zu einem wichtigen Etappensieg für die Indigenen und die Flussanwohner der Region: Am 4. August 2016 stoppte die Umweltbehörde IBAMA das komplette Genehmigungsverfahren für den Staudamm São Luiz do Tapajós. Ein Erfolg. Aber die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in Amazonien haben oft genug gezeigt, dass solche Pläne jederzeit wieder aus den Schubladen der Behörden hervorgeholt werden können. Es handelt sich also bislang um einen – wichtigen – Sieg, aber eben immer noch nur um einen Etappensieg.

Neue Transportwege für Bodenschätzen und Agrarstoffe

Zudem ging es Brasília in der Tapajós-Region nie nur um Energieproduktion, sondern eben auch um den Ausbau von Transportwegen. Staudämme entlang der potenziellen Wasserstraßenrouten für den Transport von Soja aus dem Bundesstaat Mato Grosso werden bevorzugt, da diese dazu beitragen, den Flusslauf zu regulieren und die Flüsse für den leichteren Weltmarktanschluss schiffbar zu machen. Die Schiffbarmachung der Flüsse Juruena, Teles Pires und Tapajós sieht den Bau von mindestens vier Schleusen im Tapajós und sechs am Teles Pires sowie den (Aus-)Bau von Überseehäfen in Santarém, Miritituba, Itaituba, Santana und Barcarena im Bundestaat Pará vor. Die am Tapajós geplanten Stauwerke dienen also nicht nur der Energiegewinnung, sondern auch zur Regulierung der Wasserstände, so dass die dortigen Stromschnellen durch Staumauern und Schleusen schiffbar gemacht werden. Dadurch sollen zwei Ziele durch eins erreicht werden: Ausbau der Energiegewinnung durch Wasserkraftwerke und der erleichterte – weil kostengünstigere –Transport von Rohstoffen an die Atlantikhäfen mit direktem Anschluss an den Weltmarkt. Dabei geht es um den Transport von mineralischen Bodenschätzen und von Agrarrohstoffen wie Soja, Mais und Weizen.
In Mato Grosso wurden erst Anfang der 2010er Jahre Vorkommen mit 450 Millionen Tonnen Phosphat sowie elf Milliarden Tonnen Eisenerz entdeckt. Brasília will diese Erze über die schiffbar zu machenden Korridore des Tapajós-Beckens transportieren lassen. Dabei ist für den Erzbergbau die Transportvariante über den Flusskorridor nur eine der Möglichkeiten. Da die beispielsweise im Bundesstaat Minas Gerais angewandte Methode des Erztransports per Pipeline sich aufgrund der geographischen Lage Mato Grossos und der mit der Entfernung zu den nächsten Überseehäfen exorbitanten Kosten verbieten würde, kamen die Planer in Brasília neben dem Flusstransport natürlich auf die zweite Variante: den Transport per Bahn.
„Ferrogrão“ heißt einer der geplanten Süd-Nord-Bahnkorridore von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Rio Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planern zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein. Weitere Pläne sehen den Bau einer Ost-West-Bahntrasse vor: Zu diesen Plänen zählt auch die unlängst in bundesdeutschen Medien veröffentlichten Idee der sogenannten bi-ozeanischen Eisenbahntrasse zwischen dem brasilianischen Südatlantikhafen von Santos und dem peruanischen Pazifikhafen von Ilo, als Ost-Westverbindung durch Zentralbrasilien und Bolivien mit direkten Schifffahrtsanschlüssen der Panamax-Klasse nach Europa am Atlantik und Ostasien am Pazifik, ein „Jahrhundert-Projekt“, an dem laut Medienberichten sich auch Deutschland beteiligen wolle.
Für die derzeitige Boomregion beim Soja-Anbau (und die künftig auch beim Mineralbergbau in der Spitzenliga mitspielen will) im Bundesstaat Mato Grosso hätten die Pläne für den Wasserstraßenbau und den Bahnbau aus Sicht der Befürworter den entscheidenden Kostenvorteil gegenüber der bisherigen drei Transportmöglichkeiten: Bisher wird das Soja per LKW entweder in Richtung Norden nach Miritituba und Santarém oder in Richtung Süden nach Santa Catarina auf der insgesamt 3.467 Kilometer langen Bundesstraße BR 163 geschickt. Bisher ging der Hauptteil des Sojas per LKW gen Süden zum Hafen von Santos. Als die BR-163 auch gen Norden asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke. Infolge politischer Intervention des vormaligen Gouverneurs und jetzigen Agrarministers, des Soja-Barons aus Mato Grosso, Blairo Maggi, wurde die BR-163 nur bis Miritituba asphaltiert, nicht bis Santarém, wie eigentlich ursprünglich vorgesehen. In Miritituba, gegenüber von Itaituba, auf der anderen Flusseite, hat der Agrarriese Bunge seinen Soja-Terminal errichtet. Bunges Konkurrent, Cargill, hatte schon 2003 flussabwärts in Santarém seinen Terminal errichtet. Bunge ist so schlau gewesen, der Firma von Blairo Maggi die Hälfte des Miritituba-Terminals zu verkaufen. Blairo zögerte nicht lange, griff zu und erklärte die Asphaltierung der Reststrecke nach Santarém für nicht mehr notwendig. Als dritten Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren. Auch diese Straße, die direkt das indigene Territorium Utiariti durchschneidet, war von Blaio Maggi politisch in die Wege geleitet worden.

Amazonien wird weiter zerstückelt

Márcio Santilli vom „Instituto Socioambiental“ (ISA) spricht angesichts dieses Amazonien durchziehenden Netzes von Straßen von dem „zerhackten Amazonien“, denn diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80% aller Rodungen in Amazonien erfolgen entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen. Während es für die Bergbaukonzerne zur Schiffbarmachung oder zu den zu bauenden Bahntrassen keine Alternativen gibt, da sich Erze und deren Derivate nicht kostengünstig auf LKWs über Hunderte von Kilometer transportieren lassen, spricht aus Sicht der Soja-Farmer aus Mato Grosso auch vieles für den Bau des „Ferrogrão“ und der Wasserstraßen. Allein beim künftigen Transport durch die Wasserstraßenprojekten der Region Tapajós-Teles Pires-Juruena erwarten die Soja-Farmer eine Kostenersparnis bei der Logistik für Soja um satte 41%. 2014 habe der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos bei 150 US-Dollar/Tonne gelegen, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen liege. Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten auf der BR-163 gen Südosten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand der LKWs verursache. Die BR-163 in Richtung Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja vom Zickzack nach Westen und von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Also sollen es nach Vorstellungen von Politik und Unternehmern Wasserstraßen und Bahntrassen richten. Dazu müssten dann auch die Soja-Terminals massiv ausgebaut werden: So soll die Kapazität in Santarém von derzeit 1,8 auf 8 Mio. t Soja/Jahr, in Porto Velho von 4 auf 7 Mio. t/Jahr und in Miritituba von derzeit 3,5 auf 32 Mio. t bis Mitte der 2020er Jahre fast verzehnfacht werden.
Nun ist Brasilien schon heute Soja-Exportweltmeister – mit allen sozialen und ökologischen Folgen, die dieses Modell lokal vor Ort erzeugt: Weltmeister im Pestizidverbrauch, Auslaugung der Böden, Zunahme der Landkonflikte, steigende Landpreise und zunehmende Marginalisierung der kleinbäuerlichen Bevölkerung sowie Degradation des Wasserhaushalts der Böden.
Soja war im Jahr 2015 mit einem Erlös von 28 Milliarden US-Dollar das einnahmenträchtigste Exportprodukt Brasiliens. 54 Millionen Tonnen wurden als ganze Bohnen exportiert, 15 Millionen Tonnen als Mehl und 1,7 Millionen Tonnen als Öl. Soja allein steht damit für 14,6% aller brasilianischen Exporte in US-Dollar. In der Erntesaison 2015-2016 wurden in Brasilien insgesamt 95 Millionen Tonnen Soja auf 33,9 Millionen Hektar geerntet.
Laut den Zehnjahresplänen 2012-2022 des brasilianischen Landwirtschaftsministeriums soll die Produktion von Soja, Weizen und Mais von 185 Mio. t auf bis zu 274,8 Mio. t im Jahr 2022 ansteigen. Im Zuge dieses Ausbaus vor allem bzgl. Soja will der Bundesstaat Mato Grosso weiterhin die Hauptrolle spielen. Lag Mato Grossos Anteil 2012 bzgl. Soja bei 29,2% der landesweiten Produktion, so plant der zentral gelegene Bundesstaat eine Erhöhung seines landesweiten Anteils auf 40%. Laut dem Landwirtschaftlichen Institut von Mato Grosso, IMEA, soll in dem Bundesstaat so die landwirtschaftliche Produktion bei Soja, Mais und Weizen binnen zehn Jahren um 78% gesteigert werden. Waren es 2012 noch 38 Mio. t, so sollen es bis 2022 68 Mio. t werden.
Soja hat Erze in den vergangenen Jahren als Brasiliens hauptsächliches Exportprodukt abgelöst, da die Weltmarktpreise bei den Erzen infolge der Finanzkrise stärker gefallen waren als der Sojapreis. 2016 exportierte Brasilien 67,175 Mio. t Soja im Wert von 25,3 Mrd. US-Dollar. Davon machten 52,8 Mio. t ganze Sojabohnen im Gegenwert 19,9 Mrd. US-Dollar aus, als Sojamehl wurden 14,4 Mio. t im Gegenwert von 5,1 Mrd. US-Dollar exportiert.

Sojamehl für deutsche Schweine

Neuesten Exportzahlen nach Zielländern (Zahlen 2015) zufolge importierte China 2015 aus Brasilien 41 Millionen Tonnen ganzer Bohnen, 75% des Gesamtexports von ganzen Sojabohnen Brasiliens, während die EU 10% davon importierte. Beim Sojamehl importierte die EU 8,3 Millionen Tonnen  bzw. 56,3% der gesamten brasilianischen Sojamehlexporte. Während China vor allem ganze Sojabohnen importiert, importieren die europäischen Länder vorrangig Sojamehl. Dieses wird in der Tierfütterung eingesetzt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es allein in Deutschland im Jahr 2015 39,6 Millionen Legehennen, 27,5 Millionen Schweine, 12,6 Millionen Rinder und 1,6 Millionen Schafe. Laut Statistik wird in Europa jedes vierte Schwein in Deutschland geschlachtet.
Deutschlands Nutztiere fressen laut Zahlen von  „Verband Tiernahrung“ jährlich insgesamt 82 Millionen t Futter. Deutschlands Nutztiere brauchen 8,37 Millionen t/Jahr verdauliches Rohprotein, so der Verband. 22,2% des verdauliches Rohproteins werden dabei importiert. Sojaextraktionsschrot fließt mit einem durchschnittlichen Mengenanteil von circa 13% in das heimische Mischfutter ein, deckt damit aber rund 35% des Aufkommens an verdaulichem Rohprotein in der Ration, erklärt der Verband Tiernahrung.
Dabei ist an der heimischen Masttierwirtschaft die Kritik in den Medien an den hohen sozialen und Umweltkosten in den Soja-Anbauländern nicht komplett vorbeigegangen. Der Vorschlag, wie die europäischen Eiweißimporte verringert werden können, kam aus Budapest, wo Vertreter der Agrarressorts Ungarns, der Slowakei, Moldawiens, des serbisch regierten Teils vom Bosnien-Herzegowinasund Nordrhein-Westfalens im Rahmen des „Donau Soja“-Kongresses zusammen kamen und das Ziel verkündeten, bis 2025 den europäischen Bedarf an Futtereiweiß zur Hälfte aus heimischen Sojabohnen und anderen Leguminosen zu decken.
Als „ideal“ werden von internationalen Agrarinvestorinnen und -investoren dafür vor allem die fruchtbaren Schwarzerdeböden Rumäniens ausgemacht. Dies aber lässt bei Aktivisten alle Alarmglocken schrillen: In Rumänien gibt es vier Millionen Kleinbäuerinnen und -bauern. Über 70% aller landwirtschaftlichen Betriebe in Rumänien bewirtschaften weniger als einen Hektar. Obwohl Rumänien nur 7,6% der in der EU landwirtschaftlich genutzten Fläche hat, befinden sich dort 31,5% der landwirtschaftlichen Betriebe der gesamten EU. Die Agrarinvestoren aber stehen schon Schlange, um sich die Schwarzerdeböden anzueignen. Zwischen 2002 und 2012 sind die Bodenpreise landwirtschaftlicher Flächen im Rumänien im Durchschnitt jährlich um 38% gestiegen – der höchste Wert in ganz Europa. So droht die letzte Bastion der eigenständigen, kleinbäuerlichen Ernährungssouveränität in Europa unter die Räder zu geraten – und der Proteinhunger der europäischen Masttieranstalten hat seinen gewichtigen Anteil daran.
Es bedarf also anderer Alternativen. Das Naheliegendste: weniger Fleisch konsumieren. Es sind also letztlich wir Verbraucher, die dafür mitverantwortlich sind, dass das Sojamehl, das in Brasilien unter hohem Pestizideinsatz angebaut wird, den rasant anwachsenden Landraub durch Groß-Farmern und die Verdrängung der kleinbäuerlichen Strukturen befördert. Wir tragen auch die Mitschuld daran, das die zunehmende agrarwirtschaftliche Inwertsetzung und die damit einhergehende Rodung von Amazonien und Cerrado in all seinen ökologischen und sozialen Konsequenzen vorangetrieben wird und letztlich auch die ökonomische Begründung für mehr Staudämme und Wasserstraßen am Tapajós in Amazonien liefert. All das geschieht, damit letztlich  Soja massenhaft in Tiermastanstalten als Proteinzufuhr auch hierzulande eingesetzt wird und so das Schnitzel auf unserem Teller so billig ist, wie wir es die letzten Jahrzehnte gewohnt sind.

 

Ausgabe 155/2017