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Strahlendes Brasilien - Bolsonara setzt wie Lula auf Atomkraft Brasiliens Bischöfe halten dagegen

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Der Amazonasregenwald und das Pantanal in Flammen, die Traumstrände des Nordostens mit Erdöl verseucht, kein Geld für öffentliche Schulen und Krankenhäuser, doch Brasiliens neu gewählter Präsident Jair Bolsonaro hat nichts Besseres zu tun, als das wegen Korruption und geplünderter Staatskasse auf Eis gelegte Atomausbauprogramm seiner linken Vorgängerregierungen fortzusetzen und abermals Milliarden von Steuergeldern darin zu versenken.

Schon vor seiner Wahl hatte der rechte Jair Bolsonaro keinen Hehl aus seinen atomaren Ambitionen gemacht. Sein Minister für Energie und Bergbau redete bereits bei Amtsantritt im vergangenen Januar von 4 bis 8 neuen Atomkraftwerken plus der Fertigstellung von Angra 3. Am 26. September nun kündigte Bolsonaro, als noch immer Tausende von Bränden in Amazonien wüteten, den Bau von sechs neuen Atomkraftwerken bis 2050 an. Dies könnte den brasilianischen Steuerzahler wenigstens 30 Milliarden Reais – umgerechnet rund 7 Milliarden Euro – kosten, so die offiziellen Zahlen. Hinzukommen etwa 4 Milliarden Euro für die Fertigstellung des dritten Atomkraftwerks im Süden von Rio de Janeiro.
Angra 3 ist wie Brasiliens zweites Atomkraftwerk Angra 2 baugleich mit dem nordbayerischen Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, das Deutschland 2015 aus Altersgründen abschaltete und seit 2018 kontrolliert abreißt.
Der noch unter der brasilianischen Militärregierung 1984 begonnene Bau des dritten AKWs in der Bucht von Angra war bereits im April 1986 wieder gestoppt worden. Dies hatte zwei Gründe: Akuter Geldmangel und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die auch in Brasilien Zweifel an der Atomenergie weckte. Die aus Deutschland gekaufte Kraftwerkstechnik aus dem Hause Siemens/KWU indes wurde damals nicht verschrottet oder weiterverkauft, sondern teuer eingemottet und in einen mehr als 20-jährigen Dornröschenschlaf geschickt. Dies kostete den brasilianischen Steuerzahler rund 20 Millionen Dollar pro Jahr, so der Atomphysiker und Kernkraftgegner Heitor Scalambrini Costa.
Der Prinz, der Angra 3 schließlich 2009 wach küsste, war Präsident Lula da Silva, der erneut die Bagger und Zementlaster in Angra auffahren ließ und dafür rund zehn Milliarden Reais aus dem Staatshaushalt locker machte. Doch schon 2015 musste die Nachfolgeregierung von Dilma Rousseff das Projekt erneut stoppen, diesmal wegen nachgewiesener Korruption am Bau. In diesem Zusammenhang wurde der von Lula zum Vorstand des staatlichen Atomenergiebetreibers Eletronuclear eingesetzte Vizeadmiral Othon Luiz Pinheiro da Silva 2016 rechtskräftig wegen Korruption, Geldwäsche, Devisenhinterziehung und organisierter Kriminalität zu 43 Jahren Haft verurteilt. Ähnliches droht Brasiliens Ex-Präsident Michel Temer, der zuvor Vize-Präsident unter der Regierung Dilma Rousseff war. Auch er ist wegen „atomarer“ Korruption angeklagt, aber noch nicht verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Chef einer kriminellen Organisation wenigstens rund 400 Millionen Euro im Zusammenhang mit Angra 3 zweckentfremdet zu haben.
Die von Bolsonaro nun anvisierten sechs neuen Atommeiler sind ebenso Teil des Atomprogramms, das bereits von der Regierung Lula vor mehr als zehn Jahren beschlossen wurde. Lulas Minister für Bergbau und Energie, Edison Lobão, kündigte damals den Bau von bis zu 50 Atomkraftwerken bis 2050 an. Wenigstens acht neue Kernkraftwerke, zwei davon im Nordoststaat Pernambuco, sollten bis 2030 am Netz sein. Eletronuclear eröffnete dazu eigens im Jahr 2009 eine Zweigstelle in Recife.

Gegenwind aus Pernambuco

Doch Pernambucos Landesregierung und die brasilianische Bischofskonferenz haben sich längst gegen Bolsonaros atomaren Plänen ausgesprochen. Während seiner Amtszeit werde es unter keinen Umständen Atomkraftwerke in Pernambuco geben, positionierte sich Pernambucos seit 2015 regierender und wiedergewählter Gouverneur Paulo Câmera (PSB). Er ist damit in einer Linie mit Pernambucos katholischer Kirche und den Bischöfen Brasiliens.
Bereits vergangenen Mai überreichte der Erzbischof von Olinda und Recife, Don Fernando Saburido, dem Gouverneur einen „Brief zur Verteidigung des Lebens und zur Ablehnung der Errichtung neuer Kernkraftwerke in Brasilien, insbesondere in der Gemeinde Itacuruba.“ Itacuruba am Rio São Francisco im Sertão Pernambucos ist der von Eletronuclear und Bolsonaro gewählte Standort für den ersten der geplanten Atommeiler.
Das von über einem Dutzend von Organisationen, Verbänden und der Nationalen Bischofskonferenz von Brasilien unterzeichnete Dokument lehnt jegliche Atomenergiepläne von der Uranausbeutung bis zum Kernkraftwerksbau ab. Die Entscheidung, in Brasilien Atomkraftwerke zu bauen, sei undemokratisch gefällt worden. Die Bevölkerung und insbesondere die Menschen in der Region der geplanten Reaktoren hätten keine Gelegenheit gehabt, sich zu äußern, heißt es im Text. Das Land brauche keine Atomenergie, „die schmutzig, gefährlich und teuer und aus jeder Sicht gesehen nicht vertretbar sei.“

Kein Atomkraftwerk in Itacuruba!

Die Erzdiözese von Olinda und Recife sowie die Diözese von Floresta haben insbesondere gegen den Bau eines Kernkraftwerks am Ufer des São Francisco bei Itacuruba und zum Schutz der knappen Wasserressourcen im Nordosten mobilisiert. Vergangenen Juni luden deshalb Erzbischof Dom Fernando Saburido und Bischof Dom Gabriel Marchesi den Indianermissionsrat (CIMI), die Landpastorale (CPT), Vertreter der sozialen Bewegungen sowie Landes- und Bundesabgeordnete nach Recife.
„Als Kirche können wir einer so ernsten Angelegenheit, die der Natur schadet, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Und wir stehen solidarisch mit den Menschen zusammen, die die Macht haben, ein solches Projekt zu stoppen“, sagte Dom Saburido. Erzbischof Don Fernando bekräftigte, die Gefahren eines Atomkraftwerks seien real. „Die Kirche kämpft Seite an Seite mit der Bevölkerung, damit jeder das Recht auf ein Leben in Würde und Sicherheit hat.“
Die Kernkraftgegner der sozialen Bewegungen befürchten schwere Auswirkungen für die lokale Bevölkerung, insbesondere für die indigenen Gruppen der Region, die von ihrem angestammten Land vertrieben werden könnten. Auch die Vereinigung der Landarbeiter und Kleinbauern von Pernambuco (Fetape) erwartet Vertreibungen und eine Verschlechterung der Lebensbedingungen. „Wie sollen wir mit einem Atomkraftwerk in der Nachbarschaft leben? Wer wird unsere landwirtschaftlichen Produkte, unser Fleisch, unsere Fische kaufen, wenn alles kontaminiert ist?“, beklagt Fetape-Direktor Adimilson Nunis, der sich insbesondere um den Rio São Francisco sorgt. Der „Velho Chico“ ist Nordostbrasiliens wichtigster Fluss, seine Lebensader, Wasser- und Nahrungsspender für Millionen von Menschen: Die Folgen eines Super-GAUs am São Francisco wären nicht auszudenken.

Eine Atom-U-Boot gegen Ölpest?

Brasiliens katholische Kirche lehnt des Weiteren ebenso scharf den Bau von Brasiliens erstem, gleichfalls schon unter Lula da Silva im Jahr 2008 beschlossenem Atom-U-Boot ab. „Auch angesichts des fortdauernden Elends im Land seien solche Absichten der Regierung völlig falsch und abwegig.“ Die brasilianische Bischofskonferenz warnte damals zudem davor, auf diese Weise zur weltweiten Aufrüstung beizutragen.
Nichtsdestoweniger weihte schließlich 2013 Präsident Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff die nukleare U-Boot-Werft vor den Toren Rio de Janeiros ein. Die Werft werde Brasilien in den Club der fünf Atom-U-Bootmächte, USA, China, Frankreich, England und Russland erheben, verkündete stolz die Präsidentin.
Die Inbetriebnahme von Brasiliens erstem nuklearen Unterseeboots war ursprünglich für 2023 vorgesehen. Doch 2018, als die Regierung bereits rund fünf Milliarden Euro für das Prestigeobjekt verschleudert hatte, wurde der Einweihungstermin auf 2029 verschoben. Der Grund: Geldmangel und Korruption. Nichtsdestoweniger hat auch das „linke“ Atom-U-Boot-Programm weiterhin den Segen des „rechten“ Bolsonaro. Das Projekt sei wichtig zum „Schutz der nationalen Souveränität“ sagte er vergangenen Oktober während einer Zeremonie in der U-Boot-Werft der Marine in Itaguaí.
Ob ein wahrscheinlich mehr als 35 Milliarden Reais (8 Milliarden Euro) teures Atom-U-Boot allerdings die Strände des Nordostens vor einer Ölpest wie heute schützen könnte, darf bezweifelt werden.

Ausgabe 160/2019