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Was bleibt übrig von den brasilianischen Wäldern?

Thomas Bauer, CPT Bahia

Nach gut drei Jahren hat die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff vor wenigen Wochen dem Gesetzgebungsverfahren des neuen Waldgesetzes (Código Florestal) zugestimmt. Während der Diskussion kam es zu heftigen Protesten der örtlichen Bevölkerung, indigener Gruppen, Umweltaktivisten, NGOs und engagierter Beamter aus dem Umweltsektor der Regierung sowie zu vielen internationalen Protesten.

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Dies trug dazu bei, dass Dilma in einigen Punkten kleine, eher „kosmetische Vetos“ einbrachte. Somit sprach sich die brasilianische Präsidentin, trotz ihres Wahlversprechens, die Abholzung im Amazonasgebiet zu stoppen, neuerlich klar für eine Expansion der Agroindustrie und der Geschäfte internationaler Investoren aus. Damit verpasst Brasilien die große Chance, eine klare Gesetzesgrundlage zu schaffen und zum Schutz der brasilianischen Wälder beizutragen.
Der neue Gesetzentwurf legalisiert und konsolidiert nachträglich die Abholzung der bereits zerstörten Wälder. Er trennt jene, die Respekt zeigen und sich für den Schutz der Wälder einsetzen, von denen, die bewusst das Gesetz umgehen, oder schlimmer noch, es einfach ignorieren. In diesem Zusammenhang war es interessant mitzuverfolgen, dass es in der Diskussion nicht darum ging, die Verantwortlichen, die gegen das Gesetz verstoßen haben, zu bestrafen, sondern darum, ob die abgeholzten Gebiete wieder aufgeforstet werden müssen oder nicht und wenn ja in welchem Ausmaß.Was die Schutzzonen in den Quellgebieten und an den Flussläufen betrifft, ging es in der Diskussion fast ausschließlich darum, zu entscheiden, wie breit diese Schutzzonen in Zukunft sein müssen. In Zukunft müssen nur noch ganzjährig wasserführende Quellgebiete geschützt werden. Für viele der temporären Quellen, die vom Regen abhängig sind, gibt es keine gesetzlichen Regelungen und Bestimmungen mehr. Auch hinsichtlich der Flussläufe hat sich die Gesetzeslage verändert. Die Schutzzonen an den Flussläufen werden in Zukunft bei regulärem Wasserstand gemessen und nicht wie früher ab dem Punkt, bis zu dem das Wasser in der Regenzeit vordrang. Wie wir alle wissen, sind diese Schutzzonen absolut notwendig, und genau aus diesem Grund ist zu hinterfragen, ob die Breite allein das entscheidende Kriterium ist. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Zukunft die Größe einer landwirtschaftlichen Fläche über das Ausmaß der jeweiligen Schutzzonen entscheidet und nicht nur die Breite des Flusses, der durch den Landbesitz fließt.
Auch was die Reservas Legais (natürliche Landreserven) betrifft, wird sich einiges ändern. Bis jetzt war die gesetzliche Regelung, dass jede landwirtschaftliche Fläche einen Anteil von mindestens 20%, im Amazonasgebiet sogar zwischen 35 – 80% als „natürliche Landreserve” unter Naturschutz stellen musste. Unabhängig davon sind die sogenannten Áreas de Preservação Permanente (permanent geschützte Flächen).
 In Zukunft gibt es zwischen den „natürlichen Landreserven“ und den „permanent geschützten Flächen“ keinen Unterschied mehr. Schlimmer noch: Je nach Größe der Fläche sind die 20% Schutzgebiete nicht mehr notwendig, und im Amazonasgebiet gibt es eine Staffelung von 20%, 35%, 50% und 80%, die als Schutzregionen gelten.
Speziell in Amazonien werden die Auswirkungen des neuen Waldgesetzes drastische, zum Teil nicht vorhersehbare Folgen haben. Dies ist vor allem deshalb der Fall, weil der neue Gesetzesentwurf extrem gelockert wurde und somit mehr als 400.000 km² große Regionen (400.000 km² entsprechen der Größe des Bundesstaates São Paulo) den Status eines Naturschutzgebietes verlieren. Aber nicht nur das: Die Amnestie für alle diejenigen, die gegen die Waldgesetze im Cerrado (49% der gesamten Fläche wurden bereits gerodet) und im Mata Atlântica (76% der gesamten Fläche wurden bereits abgeholzt) verstießen, kann als Impuls für all jene verstanden werden, die sich noch weiter ausbreiten möchten, als es das neue Gesetz ermöglicht: „Wenn die vor uns durften, warum dürfen dann wir nicht?“
Dies belegen auch deutlich die Fakten. In den letzten Monaten, in denen die Änderungen der neuen Waldgesetze im Kongress in Brasília vorbereitet wurden, erhöhten sich die Entwaldungszahlen landesweit. Allein im Monat August dieses Jahres stieg die Rodung im Amazonasgebiet um 200% gegenüber dem Vorjahr an. Insgesamt wurde in der Region in den letzten 50 Jahren eine Fläche von 720.000 km² Regenwald gerodet. Das ermöglichte vor allem die Expansion der Rinderzucht und der Sojaplantagen.
Die problematische Situation hinsichtlich der offensiven Rodung des Regenwaldes ist noch nicht hinreichend bekannt. Denn nicht erst seit dem neuen Gesetzesentwurf versuchen Agroindustrie und transnationale Bergbaukonzerne sich die Rechte der verschiedenen Naturschutzgebiete, der indigenen Reservate und der Quilombola-Territorien (afrobrasilianische Bevölkerung) zu sichern. Dies hat für die örtliche Bevölkerung fatale Folgen und provoziert viele Konflikte. Angaben der brasilianischen Landpastoralkommission (CPT) zufolge kam es zwischen Januar und September 2012 bereits zu 21 Ermordungen (die Angaben stammen von Pastoralmitarbeitern und öffentlichen Medien, die Dunkelziffer ist um einiges höher). Viele dieser Konflikte stehen in direktem Zusammenhang mit der Expansion der Agroindustrie sowie der Bergbaukonzerne.
Hinzu kommen weitere schwerwiegende Probleme. Der stark ansteigende Gebrauch von Pestiziden und Herbiziden, die neue Rechtslage, die es ausländischen Investoren ermöglicht mehr Land zu kaufen als früher, sowie die Lockerung der Arbeitsrechte führen zu katastrophalen Verhältnissen bis hin zur modernen Sklaverei. Laut den letzten Angaben des brasilianischen Arbeitsministeriums von diesem Jahr kam es zu 91 Fällen von Sklaverei im Amazonasgebiet. Das heißt, dass in 60% der Kontrollüberprüfungen, die aufgrund von Anzeigen eingeleitet wurden, gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde.
Absolut notwendig wäre es, den Schutz aller brasilianischen Wälder zu garantieren. Um dies einzufordern, startete eine Bürgerinitiative (http://www.desmatamentozero.org.br/), die bereits mehr als 600.000 Unterstützungserklärungen zählt. Sie verfolgt das Ziel, sich weiter für den Schutz der Wälder einzusetzen und fordert von der Regierung einen sofortigen Stopp der Abholzung. Weiterhin ist geplant, die Debatte um die Gesetzesänderungen in die breite Öffentlichkeit zu tragen und mit einer Volksabstimmung die brasilianische Bevölkerung mit einzubeziehen.